Seehofers letzter Neujahrsempfang

Ein Hauch von Abschied in der Residenz

von Redaktion

von christian Deutschländer UND MIKE SCHIER

München – „Leben ist Veränderung“, sagt Karin Seehofer. „Es ist gut so.“ Dann nimmt sie ihren Mann an der Hand, dirigiert ihn von der zugigen Eingangstür weg, die Treppen rauf in die prunkvollen Säle. Ein letztes Mal, ein besonderes Mal, eröffnen die Seehofers den großen Neujahrsempfang in der Residenz, das protokollarisch höchstrangige Ereignis des Winters. 1700 Gäste warten, die wichtigsten Repräsentanten Bayerns und dazwischen ab und zu ein paar ganz normale Bürger.

Ach, was hat ihm dieser Empfang nicht alles für Mühsal bereitet. So richtig schön ist das Fest nämlich nur für die Gäste. Der Ministerpräsident und seine Gattin mussten jahrelang ein schier endloses Defilee abnehmen, tausend (nein, das ist nicht übertrieben) Hände schütteln, tausend gute Wünsche entgegennehmen in großen, irgendwann stickigen Räumen. Und nie zucken, auch wenn der Rücken noch so schmerzt nach stundenlangem Stehen. 2016 schaffte er dann das höfische Defilee ab, hielt stattdessen seine oft launige Rede gleich zu Beginn.

So läuft es auch diesmal. Nur dass, auch wenn niemand in Seehofers Kopf reinsehen kann, er vermutlich die Neujahrsempfänge 2019 bis 2023 auch gern gegeben hätte. Statt sich für seinen designierten Nachfolger Markus Söder zurückzuziehen.

Heuer ist er aufgekratzt. Wegen des Abschieds, vielleicht, mehr noch wegen der durchgemachten Nacht. Er kommt ja direkt von Berlin an diesem Freitagabend, wo er 24 Stunden Nonstop die geplante Große Koalition verhandelt hatte. Einmal umziehen war drin auf dem Rückweg, in den Smoking werfen, mehr nicht. Dann wartet das endlose Blitzlichtgewitter in der Residenz.

Seehofer nutzt seine letzte Rede hier zu einem ruhigen, teils etwas wehmütigen, mitunter humorvollen Auftritt. Mit kratziger Stimme grüßt er seine Ehrengäste. Kardinal Marx zum Beispiel („Ich wollte zum Beichten kommen – aber es gab keinen Stoff“), den Verfassungsgerichtspräsidenten Peter Küspert (der einzige, der es wage, Seehofer-Entscheidungen zu revidieren) und den Bundesagrarminister Christian Schmidt (mit dem spöttischen Hinweis: „der das Glyphosat jetzt wieder abschafft“).

Der scheidende Regent redet viel über die Koalition in Berlin, sehr viel sogar, und ein wenig über sich. „Ich war zu jeder Stunde hoch motiviert in diesem schönsten Amt, das man vergeben kann.“ Von Dankbarkeit spricht er, für die Bayern, für die Ehrenamtlichen, am Ende sogar – was sehr selten vorkommt – für seine Familie.

Ein paar Scherze macht er über den anstehenden Wechsel, lässt den Zeitpunkt offen, begrüßt Söder aber offiziell als „designierten Ministerpräsidenten“. Söder, auch er nach schlafloser Sondierer-Nacht, darf (noch) nicht reden in der Residenz, wird dennoch umlagert. Wie er mal den Neujahrsempfang gestalten wird? Doch mit Defilee? „Erstmal gewählt werden“, sagt er demütig, und das zu Recht. Ob er je diesen Empfang auszurichten hat, ist noch offen – da wäre ja noch die Landtagswahl am 14. Oktober vorher zu beachten.

Für Seehofer gibt es jedenfalls viel milden, langen Beifall. Teils sogar von der Opposition. „Die Rede war ein wenig langatmig, das hätte er kürzer machen können“, sagt der Freie Wähler Hubert Aiwanger: „Aber beim letzten Mal muss man das wohl verstehen.“ SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher plaudert kurz mit Seehofer, natürlich geht’s um Berlin, um die Ergebnisse der Sondierung. Die Grünen-Spitze wiederum ist gar nicht da, sie hat in Kulmbach ein Urwahlforum im parteiinternen Wettstreit.

Dass Seehofer am Abend auch nicht bis zum Ende in der Residenz ausharrt, ist klar. „Ich bin richtig müde“, sagt er noch, „aber glücklich“.

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