Oberpframmern – Normalerweise würde Kirsten Joas bei diesem Wetter nicht in den Wald stapfen, um die kleinen Jungfichten mit Wäscheklammern zu versehen. Nicht wegen der Regentropfen, die ihr am Freitag unermüdlich auf die rote Mütze platschten, sondern weil die dünne Schneeschicht am Waldboden ihr den Blick auf die kleinsten Pflanzen verwehrt. Der Grund, warum sich die Försterin trotzdem auf in den Forst in Oberpframmern (Kreis Ebersberg) machte, war der Startschuss für das Forstliche Gutachten 2018. Denn Kirsten Joas demonstrierte, wie Bayerns Förster in den kommenden Wochen eine umfassende Inventur im Wald vornehmen.
Alle drei Jahre werden für das Gutachten stichprobenartig die Verbiss-Spuren durch Rehe, Hirsche und Gämsen in den bayerischen Wäldern untersucht. Und das funktioniert so: Die Forstflächen werden systematisch in ein Gitternetz eingeteilt. In jedem Raster werden exemplarisch junge Waldbäume untersucht. Dafür hat Kirsten Joas ihre Wäscheklammern in der Jackentasche. Mit ihnen markiert die Försterin die Bäume, deren Daten sie erfassen will. Mit dem Meterstab hat sie sich zuvor ihren Auswahlradius festgelegt. Dann notiert sie, wie groß die jungen Bäume sind – und ob an den Pflanzen in letzter Zeit ein tierischer Vierbeiner geknabbert hat. Das wird Joas in den nächsten Wochen in den gesamten Forstflächen ihres Zuständigkeitsbereichs erledigen – bis die Pflanzen austreiben, hat sie Zeit. Allein das Landesamt für Landwirtschaft in Ebersberg kommt so an Daten von rund 50 000 Pflanzen. So soll ein detaillierter Überblick für ganz Bayern gewonnen werden.
Das Ergebnis beeinflusst auch die künftigen Abschusspläne für die rund 750 Hegegemeinschaften im Freistaat. Denn Forstminister Brunner, der am Freitag ebenfalls die Gummistiefel ausgepackt hat und den Erklärungen von Kirsten Joas folgte, machte aus seinen Prioritäten keinen Hehl: „Buchen, Eichen, Fichten und Tannen müssen so aufwachsen können, dass sie durch den Verbiss von Rehen, Hirschen oder Gämsen nicht im Wachstum zurückbleiben oder sogar ganz ausfallen.“ Kurz: Wald vor Wild. Ein Grundsatz, der in der Vergangenheit immer wieder zu Spannungen zwischen Förstern, Waldbesitzern und Jägern geführt hat. Übergeordnetes Ziel müsse laut Brunner ein funktionsfähiger und klimasicherer Wald sein.
Die Ergebnisse der bisherigen Gutachten zeigten beim Verbiss einen positiven Trend. Trotzdem ergab auch das jüngste Gutachten vor drei Jahren, dass in rund der Hälfte der Hegegemeinschaften die Verbissbelastung noch immer zu hoch ist. Vor allem an den jungen Laubbäumen nagt das Wild besonders gerne, der Verbiss liegt dort bei rund 18 Prozent – dabei wären gerade die Laubbäume wichtig für einen stabilen Mischwald.
Ob sich hier etwas verbessert hat, wird sich im September zeigen – dann soll das Gutachten fertiggestellt sein. Aber bis dahin muss Kirsten Joas noch viele Male mit ihren Wäscheklammern in den Wald stapfen.