München – Die Stimmung bei ihren Kolleginnen reiche von Fassungslosigkeit bis Wut, sagt Astrid Giesen, Vorsitzende des Bayerischen Hebammenverbandes. „Ja, da ist schon sehr viel Wut.“ Und da sei auch sehr viel Angst. Um die berufliche Existenz und um die Frage, wie es in Zukunft mit den freiberuflichen Hebammen weitergehen soll.
Im Januar ist die neue Abrechnungsverordnung für Beleghebammen in Kraft getreten. Sie war im September vergangenen Jahres als Schiedsspruch entschieden worden und sollte den jahrelangen Streit zwischen GKV-Spitzenverband und den Hebammenverbänden um die Vergütung freiberuflicher Hebammen beilegen.
Das ist nicht passiert: Hebammenverbände laufen Sturm gegen den Schiedsspruch und warnen vor den Folgen. „Es werden sich noch mehr Beleghebammen aus der Geburtshilfe zurückziehen, weil sie sich die Arbeit nicht mehr leisten können“, sagt Giesen. Für Bayern wäre dies besonders dramatisch. Bei etwa 60 Prozent aller Geburten im Freistaat stehen freiberufliche Hebammen den Frauen zur Seite. Deutschlandweit sind es nur 20 Prozent.
Zwar wurden in dem Schiedsspruch die Honorare der Beleghebammen um 17 Prozent angehoben, gleichzeitig aber dürfen sie pro Stunde maximal nur noch zwei Schwangere abrechnen.
Nun haben die Hebammen seit sieben Wochen mit der neuen Verordnung gearbeitet. Wie sich die Vorschriften finanziell auswirken, lässt sich noch nicht sagen. „Die Abrechnungen für Januar gehen jetzt erst raus“, sagt Giesen. „Ich glaube aber, dass in Summe die Hebammen auf den kleineren Geburtsstationen verlieren werden.“ Sie können den Leerlauf, der in kleineren Kliniken durchaus vorkommt, nicht mehr mit den Stunden kompensieren, in denen sie drei oder vier Schwangere versorgten. Das verhindert die Deckelung.
Giesen hat in den vergangenen Tagen viel mit Hebammen in ganz Bayern über die neuen Vorschriften gesprochen.
Drei Punkte sind es, sagt sie, die hätten eigentlich alle erwähnt: Da ist zum einen die Dokumentation. Die Abrechnungen seien viel aufwändiger als früher, sagt Giesen. Bezahlt werde den Hebammen der Mehraufwand nicht.
Frauen, die die Hebammen aufgrund von Schwangerschaftsbeschwerden aufsuchen, müssten längere Wartezeiten in Kauf nehmen. Denn selbst wenn die Hebamme Zeit hätte, kann sie die Schwangere nicht abrechnen, wenn ihr Stunden-Kontingent bereits voll ist.
Auch in der Geburtshilfe zeigten sich die Folgen der neuen Vorschriften. Die Deckelung auf zwei Frauen pro Stunde sollte hier die Qualität der Betreuung verbessern. „In der Praxis“, sagt Giesen, „sieht das aber anders aus.“
Früher sei es möglich gewesen, bei einer anspruchsvollen Geburt die Situation im Team individuell zu handhaben. Eine Hebamme versorgte die Frau in der Kernzeit der Geburt, die anderen regelten die restliche Arbeit im Kreißsaal. „Jetzt muss die Hebamme, damit sie für ihre Arbeit angemessen bezahlt wird, eine zweite Schwangere betreuen“, sagt Giesen.
Insofern habe sich die Qualität der Betreuung verschlechtert. Wobei die Verbandsvorsitzende mit dem Qualitäts-Argument ohnehin ein Problem hat, denn die Deckelung gilt nur für die freiberuflichen, nicht aber für angestellte Hebammen.
Warum das so ist? „Die Freiberufler kosten die Krankenkassen mehr Geld“, sagt Giesen. Sie glaubt, dass die Krankenkassen das Belegsystem deshalb abschaffen wollen. Gerade kleinere Kliniken können sich angestellte Hebammen jedoch nicht leisten. Sie müssten schließen, wie so viele Geburtsstationen in den vergangenen Jahren. Seit 2009 haben im Freistaat 35 Geburtsstationen dicht gemacht.