München – Dass jedes Kind schwimmen lernen sollte, ist im Grunde eine Binsenweisheit. Doch eine Definition, wie Schwimmfähigkeit festgestellt werden kann, ist gar nicht so einfach, wie eine Expertenanhörung im Landtag ergab. Während die meisten Eltern dies mit dem Erwerb des Frühschwimmer-Abzeichens „Seepferdchen“ verbinden, sind die Fachleute von Wasserwacht und Deutscher Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) anderer Meinung. Frühestens mit dem Erwerb des Jugendschwimmabzeichens Bronze sei das sichere Schwimmen garantiert. Bei dem sogenannten Freischwimmer sind 200 Meter Schwimmstrecke zurückzulegen – beim Seepferdchen nur 25 Meter –, man muss einmal zwei Meter tief tauchen und aus einem Meter Höhe ins Wasser springen. Nach diesem Maßstab könnten wohl 70 Prozent der Grundschulkinder nicht sicher schwimmen, meinte DLRG-Ausbildungs-Leiter Patrick Sinzinger. „Jeder Grundschüler sollte die Schule mit dem Bronze-Abzeichen verlassen“, regte der stellvertretende Chef der Wasserwacht, Ingo Roeske, im Landtag an. Das „Seepferdchen“ sei eher etwas zur „Wassergewöhnung“.
Initiiert hatten die Anhörung die Grünen, die durch Meldungen über die Schließung von Bädern und eine hohe Zahl von Badetoten alarmiert worden waren. Von 910 öffentlichen Bädern sind, wie eine Anfrage der SPD ergab, 263 sanierungsbedürftig und eine Anzahl weiterer von Schließung bedroht. Ergibt sich aus diesen Zahlen, dass Bayerns Schulkinder zunehmend nicht mehr schwimmen lernen? Wasserwachtler Roeske warnte vor voreiligen Schlussfolgerungen. So sei ein bayernweiter Überblick, wo Schwimmbäder fehlten, nicht bekannt. Mehrere Redner vermissten hierzu Auskünfte der kommunalen Spitzenverbände, die sich mit einer schriftlichen Stellungnahme begnügt hatten.
Dass es Missstände gebe, sei aber unstrittig. So wies die DLRG darauf hin, dass beim Bau eines neuen Schulzentrums im niederbayerischen Deggendorf auf ein Lehrschwimmbecken leider verzichtet worden sei. Ein Problem sei auch, dass viele Kommunen auf Spaßbäder setzten, wo eher Wellness und Rutschen-Gaudi gesucht werde, aber nicht richtiges Schwimmen. Ob diese Missstände aber der Hintergrund für zuletzt 91 Ertrinkungstote in Bayern sind, bezweifelte der Jugendmediziner Dr. Georg Leipold. Er wies darauf hin, dass ein Teil der Opfer im Säuglingsalter sterbe – weil Babys in Gartenteiche fallen oder schlicht in der Badewanne unbeaufsichtigt gelassen werden. Nichtschwimmer seien ein Problem im Grundschulalter. Im höheren Alter sei das anders. So könnten nur drei Prozent der Gymnasiasten nicht schwimmen.
Fast alle Experten plädierten im Landtag dafür, diese „Wassergewöhnung“ wesentlich früher einzuführen. Schwimmen sei schließlich eine „motorische Grundfertigkeit“, sagte die Präsidentin des Deutschen Sportlehrerverbands in Bayern, Barbara Roth. Sie stellte das sogar auf eine Stufe mit Lesen, Schreiben und Rechnen. Auch gab es Stimmen, die forderten, Schwimmen im Zeugnis extra zu bewerten.
Mit der Wassergewöhnung solle man daher „bereits im Kindergartenalter anfangen“, regte Jugendmediziner Dr. Leipold an. Hier waren die Abgeordneten allerdings skeptisch. „Wir werden die Ausbildung für Kindererzieher nicht noch ums Schwimmen erweitern können“, gab der Abgeordnete Joachim Hanisch (FW) zu bedenken. Und der CSU-Abgeordnete Max Gibis sah ohnehin nicht so viele Missstände. Wenn der Aufwand zum wöchentlichen Besuch der Schwimmhalle zu weit sei, solle eine Schule eben konzentriert eine „Schwimmwoche“ anbieten.