Kolumne

von Redaktion

Den in Murnau ansässigen, aber von den Einheimischen beargwöhnten Schriftsteller Ödon von Horvath wird man nicht als Kronzeugen anrufen können, soll er doch gesagt haben: „Ich habe keine Heimat und ich will auch keine!“. Trotzdem ist der lange verpönte Heimatbegriff mittlerweile offenbar so in Mode gekommen, dass sich auch Landes- und Bundesministerien damit schmücken. Totgesagte leben scheinbar tatsächlich länger! Was in den 1970er- und 1980er-Jahren schier undenkbar war, ist eingetreten. Der Heimatbegriff erlebt eine Renaissance.

Rock- und Folkgruppen integrieren Elemente der bayerischen Volksmusik, junge Dichter rezitieren auf Poetry Slams Mundartgedichte, Filmemacher wie Edgar Reitz und Marcus H. Rosenmüller haben den neuen Heimatfilm erfunden, und mit der Habilitationsschrift von Karen Joisten „Philosophie der Heimat, Heimat der Philosophie“ hat sich auch die Wissenschaft dem Heimatbegriff zugewandt. Parteien beschäftigen sich in ihren Fachtagungen mit dem Heimatbegriff, der „Spiegel“ widmete ihm seine Titelseite, Fernseh- und Hörfunksender ganze Abende.

Verena Schmitt-Roschmanns Buchtitel „Heimat – Neuentdeckung eines verpönten Gefühls“ weist darauf hin, dass aus einem anrüchigen, weil politisch und gesellschaftlich missbrauchtem Begriff, in Zeiten der Globalisierung wieder ein arbeitsfähiges Konzept geworden ist.

Das Konzept Heimat – oft als Utopie, als Mythos, als Konstrukt, als moderne Imagination geschmäht – es scheint überlebensfähig, weil erstaunlich wandelbar, anpassungsfähig und flexibel. Diese Wandelbarkeit treibt auch merkwürdige Blüten, was traditionell geprägte Volksmusikanten, Trachtenfreunde und Brauchtumspfleger bisweilen in Harnisch bringt. So glücklich Heimatpfleger sind, dass die jahrelange Verpönung des Heimatbegriffs nachlässt, so misstrauisch sollte man auch jedem neuen „Hype“, jeder neuen Ideologisierung gegenüber sein. Unerträglich wird es, wenn sich rechtsradikale Strömungen die Heimat unter die braunen Fingernägel reißen. All das soll uns nicht daran hindern, eine offene, freiheitliche und tolerante Sympathie zur Heimat zu pflegen. Der Heimatbegriff ist zu wichtig, um ihn den Reaktionären zu überlassen.

Immer wieder wurde der Heimatgedanke vergessen und wieder entdeckt. Moden kommen und gehen und ersetzen nicht eine gesunde Gelassenheit und eine gelebte Nüchternheit in der Heimatpflege. Verbände, Bezirke, Städte und Landkreise tragen in Bayern seit über hundert Jahren Verantwortung für diese Art nüchterner Heimatpflege. Wenn sich jetzt Landes- und gar Bundesministerien diesen Bemühungen anschließen wollen, könnte dies eine Chance sein, kleineren Lebenswelten in globalisierten Zeiten zusätzliches Gewicht zu verleihen.

Voraussetzung ist allerdings, dass hinter den Hochglanzschildern der Ministerien auch Inhalte zeitgemäßer Heimat,- Landschafts- und Denkmalpflege sichtbar werden. Und dass die selbst ernannten ministerialen Heimatpfleger sich einbinden in das bewährte Geflecht regionaler Kulturpflege. Sonst würden jene Recht behalten, die – angelehnt an Ödon von Horvath – sagen: „Wir haben kein Heimatministerium und wir wollen auch keines!“

* Norbert Göttler, Jahrgang 1959, lebt in Walpertshofen im Landkreis Dachau. Er hat einen Sohn. Hobbys: Schafkopfen, Bücher und Reisen, solange sie nicht zu lange dauern.

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