Befragung unter Asylhelfern

„Wir wollen ernst genommen werden“

von Redaktion

Von Katrin Woitsch

Weilheim – Als im Herbst 2015 tausende Flüchtlinge in Bayern ankamen, fanden sich überall spontan Helfer zusammen. Sie packten unaufgefordert dort an, wo Hilfe gebraucht wurde. Das Engagement war überwältigend, die Bilder gingen um die Welt. Viele von ihnen sind auch zweieinhalb Jahre danach noch in der Flüchtlingshilfe aktiv. Aber sie sind ernüchtert, ratlos – oft frustriert.

Wer sind die Menschen, die seit Jahren ihre Zeit und ihre Kraft für andere opfern? Was treibt sie an, was ärgert sie, was wünschen sie sich? Diese Fragen hat Jost Herrmann Asylhelfern aus ganz Bayern gestellt. Der evangelische Pfarrer ist seit einem knappen Jahr hauptamtlicher Asylkoordinator im Oberland, regelmäßig organisiert er oberbayernweite Asylgipfel. Dabei hat er 140 Fragebögen verteilt, die er im September ausgearbeitet hatte. In seinem Landkreis Weilheim-Schongau hat er die Helferkreise schon vorab mit denselben Fragen konfrontiert. Die Antworten stimmen fast immer überein. Er sagt: „Die Situation ist fast überall in Oberbayern ähnlich.“

Es ist die erste Befragung dieser Art über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren. Im Herbst 2015 hatte Herrmanns Tochter für ihr Abitur eine ähnliche Befragung durchgeführt. „Ich wollte nun wissen, was sich verändert hat seit damals“, sagt er. „Warum etwas verloren gegangen ist, welches Potenzial noch da ist.“ Nicht alle Ergebnisse waren so, wie er es erwartet hatte.

Wer sind die Helfer?

Etwa zwei Drittel der Helfer sind Frauen. Der größte Anteil der Ehrenamtlichen ist älter als 60 Jahre. Wie Herrmann untersucht hat, ist der Anteil der Über-60-Jährigen im Kreis Weilheim-Schongau seit 2015 klar gestiegen: von 28 auf 44 Prozent. Das Engagement der 40- bis 59-Jährigen ist seit Herbst 2015 um 15 Prozent zurückgegangen. Jugendliche fehlen in der Statistik fast ganz. Dafür ist der Anteil der Helfer mit Migrationshintergrund (2015: acht Prozent) gestiegen, berichtet Herrmann. Viele Geflüchtete engagieren sich inzwischen als Kulturdolmetscher. Auffällig ist zudem, dass 84 Prozent der Helfer Abitur oder Fachabitur haben, 63 Prozent haben studiert, zehn Prozent promoviert. „Offensichtlich sind Menschen mit höherer Bildung politisch und sozial engagierter und haben weniger Berührungsängste mit fremden Kulturen“, sagt Herrmann.

Wie lange hält das Engagement?

Etwa zwei Drittel der Befragten sind seit mehr als zwei Jahren in der Flüchtlingshilfe aktiv. Allein im Kreis Weilheim-Schongau hat sich die Zahl der aktiven Flüchtlingshelfer 2017 aber von 900 auf 660 reduziert. Die Tendenz ist in anderen Landkreisen ähnlich. Bayernweit waren Ende 2017 noch etwa 70 000 Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe aktiv.

Warum engagieren sich die Helfer?

Vor allem bei dieser Frage haben ihn die Antworten überrascht, sagt Herrmann. Die meisten Befragten gaben sowohl 2015 als auch 2017 an, sie wollten Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen und das Zusammenleben mitgestalten. Das eigene Interesse, also kultureller Austausch oder Spaß, spielt eine sehr viel geringere Rolle. Die Punkte „Anerkennung“ und „Dankbarkeit“ landeten auf den untersten Plätzen. „Das Engagement hatte also von Anfang an einen wichtigen politischen Aspekt“, sagt Herrmann.

Was ärgert sie?

Die Stimmung in den Helferkreisen hat deutlich gelitten. Etwa die Hälfte der Befragten gab an, frustriert zu sein. Das größte Ärgernis ist in allen Helferkreisen die mangelnde politische Rückendeckung. Die Helfer fühlen sich von der Politik nicht nur nicht unterstützt, sondern sogar massiv behindert. Viele gaben das als Hauptgrund dafür an, das Engagement zu reduzieren. Für den meisten Ärger sorgen noch immer das Arbeitsverbot, die nervenaufreibende Bürokratie und die schlechte Kommunikation der Behörden untereinander.

Was fordern sie?

Auch bei ihren Forderungen sind sich die Asylhelfer überall in Oberbayern weitgehend einig. An erster Stelle: eine grundsätzliche Arbeitserlaubnis für alle Flüchtlinge. Wünschen würden sie sich eine Aufstockung der Stellen bei der Asylsozial- bzw. Migrationsberatung, psychosoziale Unterstützung für die Ehrenamtlichen vor Ort sowie eine Kostenerstattung für Auslagen, beispielsweise für Autofahrten. „Manche Ehrenamtliche fahren über 10 000 Kilometer im Jahr für Flüchtlinge“, sagt Herrmann. Von der Politik fordern die Helfer „ein klares Bekenntnis auch vor potenziellen AfD- oder ausländerfeindlichen CSU-Wählern“. Auf Ehrungen und Urkunden hingegen legen sie keinen Wert. Häufig erwähnt wurde in den Fragebögen die Forderung nach einem Dialog auf Augenhöhe. „Wir möchten als Gesprächspartner ernst genommen werden und bei der Suche nach Lösungen mit einbezogen werden“, fasst Herrmann zusammen. „Bisher müssen wir noch immer darum betteln, dass unser Potenzial genutzt wird.“

Wie geht es weiter?

Jost Herrmann hat die Auswertung der Befragung nicht nur ans Innenministerium und die Bürgermeister weitergeleitet, sondern auch an die Hanns-Seidel-Stiftung. Er hofft, dass daraus eine wissenschaftliche Untersuchung werden könnte. Am besten bayernweit.

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