München – So leicht bringt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) eigentlich nichts aus der Ruhe. Doch die SPD-Landtagsfraktion scheint bei dem sonst so in sich ruhenden Franken einen Nerv getroffen zu haben. „Grober Unfug“, „unverantwortliche Irreführung der Bevölkerung“, „unbeholfen und falsch“ – so brachial kontert der Minister eine Mitteilung der Sozialdemokraten, wonach die bayerische Polizei um fast zehn Prozent unterbesetzt sei.
Die SPD stützt sich dabei auf eine Landtagsanfrage, die das Innenministerium beantwortete. 2691 Sollstellen, 9,73 Prozent, seien zum 1. Januar nicht besetzt gewesen – 219 mehr als noch vor zwei Jahren, heißt es darin. Außerdem hätten Bayerns Polizisten insgesamt rund zwei Millionen Überstunden angehäuft. „Entgegen der großspurigen Ankündigungen der Staatsregierung hat sich die Situation an den Polizeiinspektionen im Freistaat Bayern im Durchschnitt eben nicht verbessert“, ätzt SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher.
„Völlig daneben“, wettert der Minister weiter. Die Sollstärke diene als „Planungsgröße“, in die „vorhersehbare Abwesenheiten“ bereits eingerechnet seien – sprich Urlaubs- und Krankheitstage, Elternzeit oder Fortbildungen. Aus dem Vergleich von Sollstärke und verfügbarer Personalstärke lasse sich daher kein Personalmangel konstruieren. Dem wachsenden Berg an Überstunden, mittlerweile im Schnitt rund 69 pro Kopf, begegne das Ministerium mit 3500 zusätzlichen Stellen bis 2023. „Wir werden damit nicht nur die Sicherheit in Bayern erhöhen“, verspricht Herrmann, es werde auch eine spürbare Entlastung bei den Überstunden geben.
„Jeder hat Recht“, sagt der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Nachtigall. Noch nie habe es in Bayern so viele Polizisten gegeben, die Sollstellen seien besetzt. Dennoch gebe in der Praxis ein Defizit auf den Dienststellen. „Diesen Streit um die richtige Zahl sind wir müde“, sagt Nachtigall. Dass es zu wenige Beamte gebe, mache sich tagtäglich bemerkbar. Die Dienststellen müssten Aufträge „priorisieren“ – der Bürger merke das daran, dass bei nachrangigen Anrufen wie leichten Verkehrsunfällen oder einer zugeparkten Ausfahrt oft keine Streife anrücken könne. Gerade auf dem Land könne es zudem passieren, dass bei größeren Vorfällen die Streifen mehrerer Dienststellen zusammengezogen werden müssten, berichtet Nachtigall. „Dann wird es dünn.“
Wo die fehlenden Beamten stecken, erklärt sein Kollege Peter Schall, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP): „Die Stellen haben wir – die SPD-Anfrage geht an der Sache vorbei.“ Aber: Spezialeinheiten wie Cybercrime-Abteilungen, Unterstützungskommandos oder Einsatzzüge rekrutierten sich aus dem Personal der Dienststellen. „Die laufen auf dem Papier mit, verrichten ihren Dienst aber ganz woanders“, sagt Schall. Die Aufgaben der Polizei seien stärker gewachsen als die Einstellungszahlen.
Dass sich die Situation verbessert, bezweifeln beide Gewerkschafter. „Tendenziell nimmt die Schichtstärke eher ab“, sagt DPolG-Chef Nachtigall. Das liege neben den Sonderaufgaben an den vielen Pensionierungen, die durch die Neueinstellungen gerade so ausgeglichen würden. Im Notfall, versichert Nachtigall, seien die Beamten aber zur Stelle. Dass die Polizei im Extremfall auf einen dringenden Notruf nicht reagieren könne? – „So weit sind wir noch nicht.“