Unterschleißheim – Der Luftzug traf sie wie ein Knüppelschlag: Zwei Männer sind am Bahnhof von Unterschleißheim (Kreis München) vom Sog eines vorbeifahrenden Regionalexpresses erfasst und gegen den Zug geschleudert worden. Die beiden Münchner kamen mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus. Der Jüngere, ein 21-Jähriger, verlor sein linkes Bein. Die Wucht des Zusammenpralls schleuderte ihn über den Bahnsteig. Sein 31-jähriger Begleiter wurde ins Gleisbett geschmettert. Er verletzte sich bei dem Aufprall an Brustkorb und Lunge und brach sich mehrere Knochen, darunter Hüfte und Ellenbogen. Der Lichtblick: Beide befinden sich laut Polizei außer Lebensgefahr.
Die beiden Köche waren gestern kurz nach Mitternacht auf dem Heimweg von der Arbeit. In Fahrtrichtung München warteten sie wohl auf eine S-Bahn. Wie die Polizei berichtet, hielten sie sich an einer Stelle auf, an der der Bahnsteig wegen Bauarbeiten nur gut einen Meter breit ist. Sie seien leicht alkoholisiert gewesen. Als der Regionalexpress von Regensburg Richtung Münchner Hauptbahnhof durch den Bahnhof fuhr, wurden die beiden Münchner von den Luftverwirbelungen erfasst.
Ein Bahnsprecher bezeichnete den Vorfall als „tragischen Unfall“, den man für die Betroffenen sehr bedauere. Derzeit würden für den behindertengerechten Ausbau des Bahnhofs Zugangsrampen geschaffen. Dadurch sei ein kleiner Bahnsteigabschnitt enger als sonst. „Die Baustelleneinrichtung ist aber auf jeden Fall regelkonform“, betont der Bahnsprecher.
Zum Schutz der Reisenden seien Bahnsteigkante und Gefahrenbereich mit weißen Linien und Schraffuren markiert. „Sie kennzeichnen den Bereich, der während der Ein- und Ausfahrt der Züge von Reisenden nicht überschritten werden darf“, sagt der Bahnsprecher. Erst wenn ein einfahrender Zug vollständig zum Stehen gekommen sei, dürften Reisende die weiße Sicherheitslinie übertreten. Darauf machten dreieckige, gelb-rot-schwarze Warnschilder aufmerksam.
Bei der Durchfahrt durch den Bahnhof Unterschleißheim gilt für Züge normalerweise eine Höchstgeschwindigkeit von 140 Stundenkilometern, die laut Bahn wegen der Baustelle auf 120 reduziert wurde. Warndurchsagen seien bei solchen Geschwindigkeiten nicht vorgeschrieben. Wie schnell der Regionalexpress durch den Bahnhof gefahren ist, steht derzeit noch nicht fest. Die Polizei untersucht außerdem, ob die Engstelle am Bahnsteig ausreichend gekennzeichnet war.
Auch die Bonner Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung dürfte in dem Fall aktiv werden. Nicht zum ersten Mal, dass sie sich mit der gefährlichen Sogwirkung befassen muss. „Das geschieht nicht jede Woche, aber es gibt immer wieder gefährliche Situationen und Unfälle“, sagt ein Sprecher. Wie vor gut zwei Wochen am Bahnhof Rosenheim. Dort rissen die Luftwirbel eines Güterzugs einen Kinderwagen mit, der dadurch völlig zerfetzt wurde. Zum Glück hatte die Mutter ihr ein Jahr altes Mädchen kurz davor auf den Arm genommen. Bayernweit gab es mehrere ähnliche Vorfälle in den vergangenen Jahren, darunter 2015 in Markt Schwaben (Kreis Ebersberg) und in Karlstadt am Main.
Manchmal endet ein solcher Vorfall tödlich. Im österreichischen Puch bei Hallein nahe Salzburg schleuderte der Sog eines Güterzugs einen Kinderwagen mit einem ein Jahr alten Mädchen über den Bahnsteig. Das Kind starb an seinen Verletzungen. Nachdem 2015 ein anderthalbjähriges Mädchen bei einem ähnlichen Unglück in Linz von einem Güterzug überrollt wurde, verurteilte ein Gericht die Mutter wegen fahrlässiger Tötung. Sie hatte laut Urteil die Bremse des Kinderwagens nicht richtig angezogen.
Durch eine beispiellose Verkettung unglücklicher Umstände starb am S-Bahnhof Fürstenfeldbruck im Jahr 2012 eine 54-jährige Frau: Der Fahrtwind eines durchfahrenden Zugs wirbelte den herumliegenden Schlauch eines Hochdruckreinigers auf. Er traf die Frau so hart am Kopf, dass sie nicht überlebte.