Alter Brauch wiederentdeckt

Der Geist in der Kugel

von Redaktion

Von Katrin Woitsch

Eging am See – Manchmal ist es schon zum Verzweifeln mit dem Heiligen Geist. Selbst für einen Profi wie Josef Drexler. Er ist ein Mann mit ruhigen Händen, einem geschulten Blick für Proportionen – und einer nahezu unanständigen Menge Geduld. Aber neulich ist sie wieder einmal auf eine harte Probe gestellt worden. Stundenlang hatte der 63-Jährige in seiner Werkstatt im Keller geschnitzt, gemalt und geleimt. Bis er die kleine Holz-Taube mit Pinzetten in der Glaskugel perfekt zusammengesetzt hatte. Als er die Kugel in der Hand zufrieden drehte, sah er ihn: den Sprung im Glas. Tagelange Arbeit und dann so was. Das zufriedene Lächeln war sofort verschwunden. Drexler hat einen Moment überlegt. Dann hat er einen großen Hammer genommen – und das Glas zerschlagen. „Ich hätte den Sprung nicht ertragen“, sagt er. Wer sich so viel Arbeit macht, will schließlich ein perfektes Ergebnis. Auch wenn es bedeutet, dass man noch mal ganz von vorne anfangen muss.

Josef Drexler fängt oft von vorne an – meistens allerdings, ohne vorher den Hammer zu benutzen. Kaum hat er eine Kugel fertig, beginnen in seinem Kopf die Planungen für die nächste. Das ist seit drei Jahrzehnten so. Seit ihm der Zufall dieses alte Buch über bäuerliche Volkskunst in die Hände gespielt hatte. Darin las er das erste Mal von den sogenannten Heilig-Geist-Kugeln. Ein Brauch aus dem 19. Jahrhundert. Besonders in bäuerlichen Familien war es damals üblich, eine Heilig-Geist-Kugel über dem Esstisch in der Stube aufzuhängen. „Das war so etwas wie ein Schutzamulett“, erklärt Drexler. „Der Heilige Geist sollte die Familie vor Krankheit, Unwettern oder bösen Geistern schützen.“ Verbreitet war dieser Aberglaube besonders in Oberösterreich und in Drexlers Heimat, dem Bayerischen Wald. Die Kugeln haben ihn sofort fasziniert – deshalb hat er seine Arbeit als Möbelverkäufer dafür genutzt, Nachforschungen anzustellen. „Ich habe meine Kunden gefragt, ob sie schon einmal davon gehört haben“, erinnert er sich. Nach ein paar Wochen hatte er Glück – und bekam von einer älteren Dame eine Heilig-Geist-Kugel zum Restaurieren überreicht.

Drexler hat die Kugel genau studiert. Im Inneren befindet sich eine freihängende bewegliche Taube aus Holz – das Symbol für den Heiligen Geist. Sie ist bemalt, im Schnabel hält sie ein rundes Stück Papier, auf dem die drei Buchstaben I, H und S zu lesen sind – das Nomen sacrum für Jesus Christus. Rund um die Taube sind an einer Konstruktion Flitterschläger und bunte Glasperlen befestigt. „Es gibt ganz unterschiedliche Varianten von Heilig-Geist-Kugeln“, erklärt Drexler. Er weiß, wovon er spricht. Bevor er selbst seine erste Kugel baute, hat er viele Kugelbesitzer besucht und deren Holztauben im Glas genau studiert. „Ich wollte aber dann letztendlich die Original-Kugel nachbauen, die ich in dem Buch entdeckt hatte“, sagt er. Natürlich hat er ein paar Anläufe gebraucht, bis er ganz zufrieden war. „Bei der ersten haben die Proportionen noch nicht gestimmt“, erzählt er. Von Kugel zu Kugel wurde Drexler sicherer mit Pinsel und Pinzette – und trotzdem ist jede Heilig-Geist-Kugel ein Unikat. „Schon allein der Blick der Taube ist jedes Mal anders“, sagt er. Mal sieht sie grimmig aus, mal eher erstaunt.

Drexler baut die Kugeln seit 1985. Selbstverständlich hat er in dieser Zeit einiges perfektioniert. Zum Beispiel die Flitterschläger. Er hat sich selbst Stempel aus Eisen gebaut, mit denen er aus einem dünnen goldenen Metall acht Motive ausstanzen kann. Die kleinen bunten Glasperlen hat er in großem Vorrat von einem Glasmacher gekauft, die mundgeblasenen großen Kugeln auch.

In seinem Haus in Eging am See (Kreis Passau) hängt nicht nur eine Heilig-Geist-Kugel über dem Esstisch – sondern drei. In seinem Arbeitszimmer hat er sogar fünf nebeneinander gehängt. Die meisten seiner Kunstwerke hat Drexler jedoch verkauft. „Es hat sich hier in der Region schnell herumgesprochen, dass ich Heilig-Geist-Kugeln mache“, sagt er – nicht ohne Stolz. In den vergangenen Jahren sind die Anfragen etwas zurückgegangen. Drexlers Bastelfreude allerdings nicht. „Es fasziniert mich immer noch jedes Mal aufs Neue, wie aus nichts etwas so Schönes entsteht“, schwärmt er. Weil er noch genug Material für etliche Kugeln zu Hause hat, und die nötige Geduld ja sowieso, versucht Drexler nun, diesen alten Brauch auch in andere Regionen zu tragen. In Oberbayern hat er Inserate aufgegeben. Die ersten Anfragen sind bereits da. Deshalb dreht sich dieses Jahr zu Pfingsten bei ihm alles noch ein bisschen mehr um den Heiligen Geist als sonst. Josef Drexler genießt das. „Es gibt nichts, das mich mehr entspannt“, sagt er. Der schönste Moment ist für ihn der, wenn er die Einzelteile der Taube außerhalb der Kugel das erste Mal zusammensetzt, um zu prüfen, ob alles passt, bevor es in der Kugel verleimt wird. „Das ist zu schön, um irgendwann damit aufzuhören“, sagt er. Der Heilige Geist wird ihn wohl durch sein restliches Leben begleiten – und dank Josef Drexler vielleicht bald ganz Bayern erobert haben.

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