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Ein paar Billionen für Notzeiten

von Redaktion

Von christopher meltzer

Feldkirchen-Westerham – Wenn Albert Katzmayr anfängt, in seinen Ordnern zu blättern, tänzeln seine Finger über die durchsichtigen Folien. Sie bremsen, wenn sie dahinter einen besonders schönen Geldschein entdecken, und fummeln ihn hervor.

„Für den hier“, sagt Katzmayr und zupft an einem Schein, kaum größer als eine Briefmarke, „gab’s im Tausch 75 Gramm Brotmehl oder 90 Gramm Butter“. Katzmayr zieht den nächsten Schein aus der Folie, zeigt auf das Wappen der Stadt Miesbach, dann auf den Aufdruck und das Datum: „Notgeldschein über Fünfzig Pfennige“, 29.12.1920. Zwischen seinen Fingern wedelt schon ein neuer Schein: Stadtgemeinde München, fünf Milliarden Mark, 28. August 1923.

Katzmayr, 36, wohnt noch immer in der Straße in Feldkirchen-Westerham, in der er aufgewachsen ist. „Ich bin sehr verbunden mit meiner Heimat, mit der Geschichte“, sagt er. Auf seinem Pulli steht: „Heimat ist kein Ort. Heimat ist ein Gefühl“.

Irgendwann hat Katzmayr für sich aber beschlossen, dass es doch etwas gibt, das dieses Gefühl ausdrückt. Die Euros, die er heute als Maschinenführer verdient, gibt er für alte deutsche Scheine aus. Er hat einen aus dem Jahr 1896, einen von 1945 und ganz viele dazwischen. Weil der Krieg damals das Geld schluckte und die Inflation einsetzte, druckten der Staat, die Städte und auch Unternehmen neue Scheine (siehe Interview). Manche dienten als Notgeld, manche als Marken für Brot und Butter, viele waren schon damals nur Serienscheine für Liebhaber. Katzmayr sammelt sie alle. Heute gehören ihm fast 150 000 Scheine, die doppelten zählt er schon gar nicht mehr mit.

Auf dem Holztisch im Esszimmer stehen an diesem Tag sieben Ordner, drei Karteiboxen, dazu viele Scheine, die einfach mit einer Klammer zusammengebunden sind. Katzmayr hat zwei DIN-A4-Seiten mit Notizen vollgeschrieben.

Die Geschichte mit dem Geld hat vor 26 Jahren angefangen. Katzmayr war neun, sein Opa gerade gestorben. Als seine Oma ausmistete, stieß sie auf die alten Reichsbanknoten ihres Mannes, fast 1500 Stück waren es. Sie wollte sie wegschmeißen, ihrem Enkel gefielen die großen Scheine mit den großen Zahlen jedoch. „Auf einem stand zehn Millionen Mark drauf“, sagt Katzmayr heute, „als Neunjähriger denkst du: Jetzt bin ich superreich.“

Es dauerte nicht lange, da merkte er, dass er nicht superreich ist. Er verstaute die Scheine, entstaubte sie erst vier Jahre später wieder. Mit 13 kaufte er auf einem Flohmarkt in Rosenheim neue Scheine. Die meisten kosteten nur ein paar Pfennige, um sie sich zu leisten, mähte er Rasen und schippte Schnee. Seine Freunde machten das auch, nur kauften sie sich von dem Geld nicht alte Papierscheine, sondern Süßigkeiten.

Irgendwann gab’s auf den Flohmärkten seiner Heimat nichts mehr zu finden. Als Katzmayr mit 18 den Führerschein machte, dachte er sich eine neue Strategie aus. Er schaltete Anzeigen, erst in München, später in ganz Deutschland. „Die Leute haben scharenweise angerufen“, sagt er. Weil sie ihm ihre Scheine aber nur selten präzise beschreiben konnten, musste er zu ihnen fahren – und immer häufiger feststellen, dass er die Scheine bereits besaß. „Es könnte ja ein Schein dabei sein“, sagt er, „der mir noch abgeht. Dafür lohnt es sich.“ Auf der Suche nach seltenen Scheinen reiste er schon nach Hamburg, einmal sogar nach Kiel. „Für mich sind das halt Schätze.“

Wie wertvoll sie sind, möchte Katzmayr nicht verraten. Ein Klick auf Ebay: Dort werden manche Scheine für einen Euro angeboten, andere für 180. Zu seiner Sammlung darf man nur so viel sagen: Manche Ordner bewahrt er in einem Bankschließfach auf.

Wenn Katzmayr durch seine Ordner blättert, weiß er genau, wo jeder Schein steckt. Er sucht drei aus, auf allen steht „Kinderkrüppelheim Aschau“. In Aschau im Chiemgau, sagt er, sei 1919 das Behindertenheim bei einem Unwetter zerstört worden. Um den Wiederaufbau zu finanzieren, verkaufte das Heim diese Scheine.

Katzmayr kennt die Geschichten der Scheine, er hat aber gelernt, dass die Geschichten der Menschen, die sie ihm verkaufen, manchmal noch spannender sind. Einmal klopfte er an einer Tür in Grünwald. Ein Mann, 92 Jahre alt, machte sie auf. „Der Garten war so groß wie ein Park“, erinnert sich Katzmayr. Der Mann habe ihn dann schon mal vorgeschickt. Treppen hoch, zweiter Stock, rechte Tür, das weiß er noch genau. Als er die Scheine schon durchsuchte, kam der Gastgeber schnaufend an. Er verkaufte sie ihm dann auch, erzählte aber vorher noch eine Geschichte. Als Fallschirmjäger sei er in Griechenland gewesen, dort aber in einem Kakteenfeld gelandet. Vier Wochen musste er im Lazarett verbringen.

Katzmayr liebt es, mit Sammlern zu reden. Trotzdem meidet er die großen Notgeld-Börsen. „Wenn da einer einen Schein hat, den ich nicht habe, dann ärger ich mich nur.“

Es gibt aber Scheine, die hätte er besonders gerne. Den berühmten 100-Billionen-Mark-Schein etwa, der höchste, der jemals gedruckt wurde. Er sammelt seit mehr als 20 Jahren, hat ihn in dieser Zeit aber nicht gesehen. Er kennt einen, der ihn mal gehabt hat, das war’s. „Wahrscheinlich liegt er in irgendeiner Kiste in irgendeinem Speicher.“

Albert Katzmayr wird weitersuchen. In der nächsten Woche hat er einen Termin in Bochum, vielleicht findet er ihn schon dort.

Vor ein paar Jahren wollte er mit seinen Kumpels nach Mallorca fliegen, Männer-Urlaub. Wenige Tage vor dem Abflug rief ihn ein Sammler aus Köln an. Katzmayr sagte den Urlaub ab. Seine Kumpels sagten: Du spinnst. Er reiste trotzdem nach Köln, kaufte dem Mann die Scheine ab, heftete sie in seine Ordner ein. „Für mich“, sagt er, „hat sich das gelohnt. Das war ein voller Erfolg.“

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