München – Jost Herrmann hat sich bis spät in die Nacht durch das Urteil gekämpft. Seite für Seite. Einige Sätze musste der Weilheimer Asylkoordinator mehrmals lesen. Nicht nur wegen des schwer verständlichen Juristen-Deutschs – sondern, weil er kaum glauben konnte, wie scharf das Gericht die Staatsregierung abkanzelt. „Das ist für das Ministerium ein Schlag ins Gesicht“, sagt Herrmann.
Die 46-seitige Urteilsbegründung ist tatsächlich eine verbale Ohrfeige. Die Richter kritisieren das „vollständige Fehlen einer ordnungsgemäßen Gebührenkalkulation“. Die Höhe der Unterbringungsgebühren sei willkürlich, „ins Blaue hinein getroffen“ – schlicht mangelhaft und damit ungültig. Ein Paukenschlag, mit dem niemand gerechnet hatte. Nicht einmal die ehrenamtlichen Asylhelfer, die seit Monaten mit den Folgen der hohen Gebühren kämpfen. Flüchtlinge, die Arbeit haben oder hatten, müssen für die Unterbringung in Flüchtlingsheimen zahlen. Rückwirkend bis 2015. Erfahren haben sie davon in den meisten Fällen erst, nachdem sich eine Menge Schulden angesammelt hatte.
Beim Asylgipfel im vergangenen Sommer hatten die Helfer über eine Normenkontrollklage diskutiert – und schließlich die Passauer Kanzlei Haubner und Schank damit beauftragt. Am Donnerstag hat der Verwaltungsgerichtshof der Klage stattgegeben. Flüchtlinge müssen für ihre Unterbringung in Asylheimen zwar Gebühren zahlen. Allerdings sei die Höhe des Betrages, den die Staatsregierung bisher einkassiert hatte – nämlich 311 Euro im Monat – völlig unangemessen. Der Betrag orientierte sich bisher an den Durchschnittsmieten, die Sozialhilfeempfänger in Bayern zahlen müssen. Asylunterkünfte und Privatwohnungen seien aber nicht vergleichbar, urteilte das Gericht. Es bringt stattdessen die Kosten für eine Übernachtung im Doppelzimmer einer Obdachlosenunterkunft ins Spiel – das wären pro Tag fünf Euro, hochgerechnet auf einen Monat 150 Euro.
Inzwischen ist nicht mehr das Sozial-, sondern das Innenministerium für die Gebührenerhebung zuständig. Es hat nun einen Monat Zeit, sie neu zu berechnen. Man werde die umfassende Urteilsbegründung nun zügig aber gründlich prüfen, teilte der für Asyl zuständige Ministerialdirektor Karl-Michael Scheufele am Freitag mit. Darüber hinaus wollte er sich nicht äußern.
Selbst Anwalt Klaus Schank zeigte sich überrascht angesichts der Deutlichkeit, mit der das Gericht die Gebührenverordnung gekippt hat. „Ich war überzeugt, dass sie falsch berechnet ist“, sagt er. „Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass das Gericht die Gebühren von vorne bis hinten zerlegt.“ Welche Folgen das Urteil haben wird, kann auch der Jurist noch nicht abschätzen. Klar sei aber, dass die Flüchtlinge, die die Gebühren oder einen Teil davon bereits gezahlt haben, kein Geld zurückbekommen werden. Nur die, die geklagt haben, werden die bisher geforderten Beträge nicht zahlen müssen, sagt Schank. „Alle, die nun noch neue Bescheide bekommen, sollten klagen oder einstweiligen Rechtsschutz beantragen.“
Auch Asylkoordinator Jost Herrmann hatte damit gerechnet, dass das Urteil für viele Flüchtlinge zu spät kommt. „Unmoralisch ist es trotzdem, dass sie so viel Geld zahlen mussten“, sagt er.
Aber noch einen anderen wichtigen Aspekt hat das Urteil fast nebenbei geklärt: Für die Unterbringung der anerkannten Asylbewerber, die ausziehen dürften, aber keine Wohnung finden (aktuell sind das in Bayern 32 000 Menschen), sind nicht die Kommunen zuständig. Sie müssen die sogenannten Fehlbeleger nicht unterbringen – das ist primär Aufgabe des Staates, urteilt das Gericht. Das könnte die Zusammenarbeit mit den Ausländerbehörden künftig deutlich verbessern, mutmaßt Herrmann. Vor allem aber sei es ein wichtiges Signal für die Kommunalpolitiker. „Diese Aufgabe schwebt über den Bürgermeistern seit Jahren wie ein Damoklesschwert.“