Scheißegal, einfach schön

von Redaktion

Petry-Musical „Wahnsinn!“ begeistert Publikum im Deutschen Theater

München – Standing Ovations gibt es am Deutschen Theater ja fast schon so inflationär, dass man eigentlich gar nicht mehr darüber berichten müsste. Selbst im Traditionshaus an der Schwanthalerstraße dürfte man allerdings nicht jeden Tag erleben, dass es die Zuschauer bei einer Premiere schon während des zweiten Akts aus den Sitzen reißt, und zum Titelsong lautstark mitgegrölt und ekstatisch mitgetanzt wird. Doch bei „Wahnsinn!“, dem Musical mit den Hits von Wolfgang Petry, gelten eben andere Gesetze. Das machen schon die vielen karierten Hemden und liebevoll geknüpften Freundschaftsbändchen deutlich, die einem im Foyer begegnen.

Es ist vor allem ein Abend für die Fans, die nach dem Bühnenabschied ihres Idols vor über zehn Jahren „Wolles“ Hits endlich wieder live hören möchten und diese nun mit viel Herzblut serviert bekommen. Wobei sich dann doch fragen ließe, ob eine Schlagerparty in dem Fall nicht vielleicht doch die ehrlichere Variante gewesen wäre. Denn die Autoren Martin Lingnau und Heiko Wohlgemuth haben mit „Wahnsinn!“ eher eine Art Ruhrpott-„Mamma-Mia“ gestrickt, das sich in mehr als einer Hinsicht von der Mutter aller Jukebox-Shows inspirieren ließ. Um es einmal vorsichtig auszudrücken. Angefangen von der Figurenkonstellation bis hin zu einzelnen Handlungselementen, wie die von Carina Sandhaus selbstbewusst verkörperte Powerfrau, die allein ein mediterranes Ferienhotel betreibt und nach Jahrzehnten einen verflossenen Verehrer wiedertrifft.

Zu ihnen gesellen sich noch drei weitere Pärchen, die alle mit Beziehungsproblemen zu kämpfen haben, ehe am Strand von Bahia del Sol schließlich – Spoileralarm – ein kollektives Happy End gefeiert werden kann. Kurzum, eine Handlung wie aus einem Sat.1-Sonntagsfilm, die den eingestreuten Hitsingles nur selten im Wege steht. Garniert mit Witzen, die manchmal gefährlich in Richtung RTL2 tendieren. Dass dabei, wenn jeder dritte Satz ein knackiger Oneliner sein will, nicht jede Pointe gleichermaßen zünden kann, versteht sich von selbst.

Doch gibt es immer wieder auch Szenen, in denen kein Auge trocken bleibt. So etwa die endlos dahinschleichende Flughafen-Sicherheitskontrolle, oder die auf Sitzbällen wippende Männer-Selbsthilfegruppe, die all die von Petry musikalisch verewigten Rosemaries, Rubys und Reginen, Sandys und Sabinen in einem herrlich schrägen Medley besingt. In solchen Momenten ist es – um im Tonfall der Show zu bleiben – „weiß der Geier“ einfach „scheißegal“, dass die Figuren meist eher eindimensional und die Plot-Twists ziemlich vorhersehbar bleiben.

Abräumen können im Ensemble vor allem Thomas Hohler als Nachwuchsmusiker Tobi, der so manchen biografischen Zug Petrys in sich vereint sowie Enrico de Pieri. Er darf nicht nur mit „Verlieben, verloren…“ leidenschaftlich um die Rettung seiner Ehe kämpfen, sondern nach dem Titelsong im wohlverdienten Applaus baden. Geschenkt, dass man von Regisseur Gil Mehmert und Choreograf Simon Eichenberger schon Inspirierteres gesehen hat. Die Songs hauen rein. Also, was soll‘s? Wolles Fans haben ihr Urteil klar gesprochen. Gönnen wir ihnen den Spaß! Tobias Hell

Artikel 6 von 11