Besuch im Bayerisches Spielearchiv

Herr der Spiele

von Redaktion

Von Sebastian Schuch

Haar – Tom Werneck geht zielsicher an drei Gängen vorbei, in den vierten biegt er ein und greift ins zweite Regal. Er zieht „Trump – The Game“ aus dem mittleren Fach, eines seiner kuriosesten Spiele. Es ist die Monopoly-Interpretation des heutigen US-Präsidenten. Rundherum: Brettspiele, Kartenspiele und Würfelspiele jeglicher Art. Im Spielearchiv in Haar (Landkreis München) stapeln sie sich in über einem Dutzend Gängen, die Regale reichen bis zur Decke. Rund 25 000 Spiele hat Werneck mittlerweile gesammelt.

25 000 Spiele – das würde reichen, um 68 Jahre lang jeden Tag ein anderes Spiel zu spielen. Sein Archiv sei das zweitgrößte Spielearchiv der Welt, sagt Werneck – nach dem Deutschen Spielearchiv in Nürnberg. In einem Regal im Keller der ehemaligen Nervenklinik Haar, die Räume bekommt er von der Gemeinde gestellt, stapeln sich beispielsweise über 50 Monopolys – alle in einer anderen Variante. In der Oktoberfest-Edition ist nicht die Schlossallee die begehrteste Straße, sondern die Käfer Wiesnschenke die teuerste Attraktion.

Jede Änderung – und sei es nur ein neues Logo – dokumentiert Werneck mit einem neuen Spiel. „Diese Veränderungen soll das Archiv für kommende Generationen erhalten.“ Sein größter Schatz: ein Quartett von 1870, das älteste Spiel in der Sammlung. Darauf zu sehen sind Zeichnungen von Alltagsobjekten wie einem Bett.

Alle Spiele im Archiv selbst gespielt hat Tom Werneck nicht. Viele sind noch immer in Folie verpackt, er kennt sie in anderen Varianten. Bei neuen Spielen hält er sich nicht zurück: „Die spiele ich so lange, bis ich sie verstehe.“

Spiele faszinieren ihn noch aus einem anderen Grund: Er sieht sie als Abbild der Gesellschaft. „In ihnen spiegelt sich der Alltag der Menschen.“ Er zieht ein Brettspiel aus der Nazizeit aus dem Regal. „Wir fahren gegen Engeland“ ruft zum Seekrieg mit England auf. „Klassische Propaganda.“

Außerdem spielt Werneck selbst saugerne. Diese Leidenschaft hat er aber nicht als Kind in Garmisch-Partenkirchen entwickelt. „Zu Hause hatten wir keine Spiele.“ Das einzige gehörte einem Schulfreund: ein handgezeichnetes Monopoly. Sein erstes eigenes besaß er erst mit 29 Jahren. „Ein Kollege kam damals mit einem Katalog aus Amerika zurück. Ich wollte unbedingt etwas bestellen.“ Für 20 Dollar – umgerechnet waren das 1968 etwa 100 Mark – gab es zwei Möglichkeiten: ein paar Damenstrümpfe oder ein Brettspiel. „Knapp“ fiel die Wahl auf „Ecology“, sagt er schmunzelnd, doch die Regeln waren zu umständlich. Also feilte Werneck so lange, bis das Spiel spielbar war.

Mit „Twixt“, seinem zweiten Spiel, experimentierte er, bis er ein neues Spiel erfunden hatte. Dachte er zumindest und schickte es an Ravensburger. Die Antwort lag kurze Zeit später auf dem Küchentisch: Ein anderer hatte das gleiche Spiel bereits ein Jahr zuvor erfunden. Für Werneck mehr Ansporn als Rückschlag, er war vom Spielefieber infiziert.

Die stetig wachsende Sammlung ging ganz schön ins Geld, sagt Werneck. „Ich habe schon Ärger von meiner Frau bekommen.“ Also habe er sich auf der Spielwarenmesse in Nürnberg als Spielerezensent ausgegeben und die neuesten Spiele „geschnorrt“. Nach drei Jahren, 1972, überkam den gelernten Juristen das schlechte Gewissen. Er begann Spielekritiken zu schreiben und machte sich in der Branche einen Namen. 1979 initiierte er das „Spiel des Jahres“ mit.

Seitdem wächst seine Sammlung stetig. Alleine die Hersteller schicken ihm jährlich bis zu 800 Neuerscheinungen. Viel interessanter findet er aber Spiele, die Leute zufällig auf dem Dachboden finden. „Das sind die wahren Schätze.“ Wenn neben dem Archiv, seinen Rezensionen und dem Spielen noch Zeit bleibt, erfindet Tom Werneck selbst Spiele. Erst im vergangenen Jahr hat er ein neues Würfelspiel auf den Markt gebracht.

Ein Lieblingsspiel hat Werneck nicht. Dafür ist er zu neugierig. „Ich entdecke mit Spielen immer wieder neue Welten.“ Das fasziniert ihn, diese Abwechslung braucht er. „Jeden Tag mit dem Dackel in den Park gehen und Kaffee trinken ist nichts für mich.“ Stattdessen stürzt er sich mit seinen fünf Enkelkindern lieber auf die neuesten Spiele. Die sind genauso begeistert wie er.

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