Studie: Islam in Bayern

Für eine Kultur der Anerkennung

von Redaktion

Von Katrin Woitsch

München – In Deutschland leben 4,5 Millionen Muslime – etwa jeder Neunte davon in Bayern. Wie es um ihre Chancen auf eine gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft steht, hat das Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa (EZIRE) drei Jahre lang untersucht. Es ist die erste Studie über die muslimische Lebenswelt – in Auftrag gegeben vom bayerischen Kultusministerium. Die Politik erhofft sich von den Wissenschaftlern Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung von Extremismus und zur Förderung eines guten Zusammenlebens. Der EZIRE-Direktor Mathias Rohe und sein Team sprachen mit Imamen, Lehrern, Gerichtsvollziehern, Polizisten, Stadträten, Flüchtlingen und Sozialarbeitern. Sie untersuchten die Aussagen von Salafisten und Islamhassern, beschäftigten sich mit Gefängnisseelsorge, Hospizen und Bestattungsriten. Ihre Ergebnisse präsentierten sie gestern Abend in München.

Herkunft und Religion

2010 lebten rund 570 000 Muslime in Bayern, die meisten von ihnen sind Sunniten, die zweitgrößte Konfessionsgruppe sind Schiiten (sieben Prozent). 18 Prozent der Muslime in Bayern ordnen sich selbst keiner islamischen Glaubensrichtung zu. Vor dem Jahr 2015 hatten rund zwei Drittel der Muslime ihre Wurzeln in der Türkei. Die Flüchtlingsbewegung hat diese Statistik stark verändert: Seit 2015 sank der Anteil der türkischstämmigen Muslime bundesweit von 68 auf 51 Prozent, die zweithäufigste Herkunftsregion ist heute der Nahe Osten (17 Prozent). Für Bayern gibt es zwar keine Zahlen, aber eine ähnliche Tendenz.

Moscheegemeinden

Flüchtlinge haben weit weniger enge Beziehungen zu Moscheegemeinden als angenommen. In erster Linie sind sie mit der Bewältigung von Alltagsproblemen beschäftigt. Viele Flüchtlinge besuchen regelmäßig das Freitagsgebet, verrichten ihre Gebete ansonsten aber lieber zu Hause. In vielen Gemeinden werden die Predigten mittlerweile nicht nur in der Muttersprache gehalten, sondern auch auf Deutsch. Neben der Religionspraxis widmen sich viele Moscheevereine sozialen Aktivitäten. Seit 2014 zählt dazu insbesondere die Betreuung von Flüchtlingen. Aber sie sind auch eine wichtige Anlaufstelle bei Eheproblemen oder Familienstreitigkeiten.

Islam-Unterricht

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist: Der islamische Religionsunterricht ist ein wichtiger Baustein für eine „Kultur der Anerkennung“ und gleichzeitig ein wichtiges Instrument gegen Radikalisierung. Aktuell unterrichten 95 Lehrer an rund 350 Schulen in einem Modellversuch. Er läuft in einem Jahr aus. Die Wissenschaftler raten dringend dazu, das Projekt fortzuführen. „Islam-Unterricht lässt sich nicht durch allgemeine Ethik ersetzen“, betont EZIRE-Direktor Rohe. „Junge Menschen brauchen einen authentischen Zugang zu ihrer Religion, um sich positionieren zu können.“

Muslimische Seelsorge

Die Zahl muslimischer Inhaftierter in Justizvollzugsanstalten ist seit 2015 um 50 Prozent gestiegen. Etwa hundert Inhaftierte sind islamistische Extremisten oder werden als solche verdächtigt. Es gibt 34 muslimische JVA-Seelsorger. Bedarf an muslimischen Seelsorgern würde auch in Krankenhäusern und künftig wohl auch in Altenheimen bestehen. Die Ausbildung sollte gefördert werden, raten die Wissenschaftler.

Bestattungskultur

Viele islamische Bestattungstraditionen werden mittlerweile von bayerischen Friedhöfen ermöglicht – zum Beispiel die Gräberausrichtung oder das Ritual der Leichenwaschung. Problematisch sei die Sargpflicht, sie werde von vielen Muslimen abgelehnt. Der Landtag hatte sich jedoch gegen eine Lockerung ausgesprochen. Die Wissenschaftler geben zu bedenken, dass die Bestattung auch für die Angehörigen der Toten eine wichtige Rolle spielt. Die Zulassung der sarglosen Bestattung wäre ein deutliches Signal an die Muslime, dass ihre rituellen Anliegen so ernst genommen werden, wie die von anderen Bevölkerungsgruppen. In 13 Bundesländern ist die Sargpflicht bereits abgeschafft.

Extremismus

Für die Studie hat der Politikwissenschaftler Mahmoud Jaraba salafistische Freitagspredigten umfassend analysiert. „Salafisten rufen nicht direkt zur Gewalt auf“, berichtet er. „Aber ihre Predigten enthalten Botschaften, die durchaus als Aufforderung zur Gewalt verstanden werden können.“ Mit derartigen Parolen würden die Salafisten auf eine Spaltung der Gesellschaft zielen. Aber auch die Islamfeinde polarisieren mit einer aggressiven Rhetorik gegen Muslime, denen sie den Religionscharakter ihrer Bekenntnisse absprechen. Extremisten und Islamfeinde schaukeln sich laut Studie mit ihren Hassparolen gegenseitig hoch und seien damit eine Bedrohung für den Zusammenhalt in Bayern. „Die Gesellschaft darf nicht in ein Wir und die Muslime eingeteilt werden“, betont Rohe. „Wir müssen dem Extremismus aller Seiten deutlicher entgegentreten.“

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