München/Karlsruhe – Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechte von Patienten in der Psychiatrie bei der zeitweisen Fesselung ans Bett gestärkt. Für längere Zeit darf diese Zwangsmaßnahme nur nach einer richterlichen Entscheidung getroffen werden, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Zwei Betroffene hatten Verfassungsbeschwerden eingereicht. Sie sahen ihr Grundrecht auf Freiheit der Person verletzt.
Einer der Kläger war im Jahr 2009 betrunken ins Isar-Amper-Klinikum eingeliefert worden. Der Mann hatte 2,7 Promille und galt als selbstmordgefährdet. Mit einer Sieben-Punkt-Fixierung wurde er ruhiggestellt. Das heißt, er wurde an Armen, Beinen, Bauch, Brust und Stirn über acht Stunden festgegurtet. Das entschied das Klinikpersonal nach eigenem Gutdünken, ein Richter wurde nicht eingeschaltet. Es ist die oberste Stufe der Fixierung, normal sind eher Fünf- oder Drei-Punkt-Fixierungen. Dem Patienten geht es heute wieder gut, der Ärztliche Direktor in Haar, Prof. Peter Brieger, kennt ihn sogar persönlich. „Ich war kürzlich mit ihm essen.“
Der ehemalige Patient wollte sich mit der Fixierung aber nicht abfinden. Er klagte auf Schadenersatz und Schmerzensgeld – unterlag jedoch. Daraufhin wandte er sich ans Bundesverfassungsgericht. Dort klagte zudem ein Baden-Württemberger, der über mehrere Tage mit einer Fünf-Punkt-Fixierung ruhiggestellt worden war. Beide Fälle wurden zusammengefasst – in einem Urteil, das nun die Rechte der Patienten stärkt.
Die Karlsruher Richter stellten fest: Wenn eine Fixierung absehbar länger als eine halbe Stunde dauert, reicht dem Urteil zufolge die Anordnung eines Arztes nicht aus. Wird eine Fixierung in der Nacht vorgenommen, muss eine richterliche Entscheidung am nächsten Morgen eingeholt werden. Die Fixierung eines Patienten sei ein Eingriff in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person nach Artikel 104 des Grundgesetzes, sagte der Vorsitzende des Zweiten Senats, Andreas Voßkuhle. Sie sei nur als letztes Mittel zulässig, wenn mildere Mittel nicht in Betracht kommen. Eine Fixierung werde „umso bedrohlicher erlebt, je mehr der Betroffene sich dem Geschehen hilflos ausgeliefert sieht“.
Das Bundesverfassungsgericht verlangt neben der richterlichen Anordnung außerdem, dass ein fixierter Patient durchgehend durch pflegerisches oder therapeutisches Personal überwacht wird. Die Maßnahme muss dokumentiert werden und der Patient ist darauf hinzuweisen, dass er sie nachträglich gerichtlich überprüfen lassen kann.
Ein zuständiger Richter muss zudem von 6 bis 21 Uhr erreichbar sein, um Fixierungen anordnen zu können. Eine nachträgliche richterliche Anordnung ist nur in Fällen wie Selbst- oder Fremdgefährdung zulässig.
Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha (Grüne) sagte, er werde nun mit dem Justizminister reden, wie ein richterlicher Bereitschaftsdienst organisiert werden kann. Die Aufgabe kommt auch auf die bayerische Justiz zu.
Bayerns Sozialministerin Kerstin Schreyer begrüßte das Urteil. Der Richtervorbehalt müsse im Landesgesetz stehen, so die „Kernbotschaft“ des Gesetzes. Das sei im neuen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz, das 2019 in Kraft tritt, auch der Fall. Alle anderen Punkte müssten mit dem Urteil abgeglichen werden.
Das Oberlandesgericht München wird nun über den Fall des Münchner Klägers erneut verhandeln müssen – ein Schmerzensgeld ist nicht ausgeschlossen. dw/dpa