58-Jährige vor Gericht

Jugendliche zum Kiffen animiert

von Redaktion

von angela Walser

München – Lisa M. kam spät, viel zu spät. Wegen eines Verkehrsunfalls auf der Autobahn hatte die 58-Jährige im Stau gestanden. Ihr Prozess vor dem Landgericht München II wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln begann mit erheblicher Verspätung. Als der Staatsanwalt dann die vier Anklagen vorlas, staunten die Zuhörer nicht schlecht. In einer Anklage wurde der Hausfrau vorgeworfen, keine Fahrerlaubnis zu besitzen. Wie war sie dann aus Bernried (Kreis Weilheim-Schongau) hergekommen? Ihr Verteidiger Florian Wurtinger beeilte sich, einen polnischen Führerschein vorzulegen. Der sei noch nie beanstandet worden, sagte er.

Zum Hauptvorwurf, Drogenhandel – inklusive der Abgabe von Rauschmitteln an Minderjährige – ließ er seine Mandantin nicht aussagen. Er gab für sie eine Erklärung ab, in der er nur eine weitaus geringere Anzahl von Fällen einräumte. Ein ermittelnder Polizeibeamte erklärte, wie er zu den in der Anklage aufgelisteten 38 Fällen gelangt war.

Er beschrieb die Whatsapp-Chats, über die der Verkauf abgewickelt worden war. Das Codewort lautete: „Die Wiesen sind wieder grün“. Er berichtete von den Vernehmungen eines 15-jährigen Abnehmers und denen der 58-Jährigen sowie ihrer Tochter. Daraus ergab sich folgendes Bild: Im Wohnzimmer der Familie M. stand eine Holzschale, in der stets frei zugänglich Marihuna lag. Der 15-jährige Schüler war von Mutter und Tochter immer wieder zum Konsumieren eingeladen worden. Die Angeklagte genehmigte sich und den Jugendlichen diese Kifferrunden, um ihre Tochter vor härteren Drogen zu schützen, mit denen das Mädchen bereits liebäugelte.

Der junge Mann, der ein Auge auf die Tochter des Hauses geworfen hatte, fand dieses Familienumfeld zunächst extrem cool. Mal ließ er sich einladen, mal kaufte er seinen Stoff bei der Drogen-Mutter. Bei der Polizei war er bald bekannt, allerdings nur als sogenannte „Ameise“, sprich als Konsument. Beim Weiterverkauf wurde der 15-Jährige nie beobachtet. Wenn er mit der Tochter ausging, gab die Mutter ihnen schon mal Marihuana mit auf den Weg und wünschte ihnen einen schönen Abend. Solche und andere Geschichten berichtete der Polizei-Ermittler.

Die angeklagte Mutter geriet innerlich total in Rage. „Unverschämt“, zischte sie. Mühsam brachte ihr Verteidiger sie zur Ruhe. Doch die Angeklagte hatte genug. „Jetzt reichts mir“, entfuhr es ihr. „ Wie können Sie meinen Whatsapp-Chat lesen?“ Und an das Gericht gewandt, meinte sie: „Seit zwei Jahren macht er das. Er will mich schlechtmachen.“ Dann weinte sie.

Die Chat-Verläufe hatten das gesamte Familien-Desaster ans Licht gebracht sowie andere traurige Entwicklungen aus der örtlichen Drogenszene. So gab es mehrere Käuferinnen, die lieber am Essen sparten, um sich Marihuana zu besorgen. Andere begingen Diebstähle am Arbeitsplatz und wieder andere gaben die Drogen an ihre konsumierenden Kinder weiter. In einem Fall konnte eine Mutter nicht vom Rauschgiftgeschäft lassen, obwohl sie eines ihrer Kinder durch Drogenmissbrauch verloren hatte. Der Prozess dauert an.

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