München – Pflegebedürftige ab Pflegegrad 2 haben einen Rechtsanspruch auf Tages- bzw. Nachtpflege – so wie Franz Singhammer (siehe Artikel oben). „Das ist allerdings ein nicht einklagbarer Rechtsanspruch“, betont der Münchner Pflegeexperte Claus Fussek. „Für Menschen, die durch einen Unfall oder einen Schlaganfall eine Hirnschädigung erlitten haben, gibt es kaum Angebote.“ Demenzgruppen oder Fördereinrichtungen für geistig oder körperlich Behinderte seien für sie keine optimale Lösung.
Fussek räumt ein: Es handelt sich um Einzelschicksale – aber die gebe es flächendeckend überall in Bayern. Einrichtungen oder therapeutische Angebote allerdings kaum.
In München gibt es Mutabor, eine Verein der sich gezielt der Beratung und Behandlung von Menschen widmet, die einen Schlaganfall oder eine Schädel-Hirn-Verletzung erlitten haben. In der therapeutischen Tageseinrichtung gibt es etwa 25 Plätze für Betroffene. Sie sind immer alle belegt, berichtet Regina Fundmeir. Und es gibt Wartelisten. „Es gäbe einen viel größeren Bedarf, als wir abdecken können“, sagt sie.
Das gilt nicht nur für München. Laut der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie kommen pro Jahr auf 100 000 Einwohner Deutschlands 400 Schädel-Hirnverletzungen. Bei etwa 180 davon sind langfristige Schäden zu erwarten. Die Tages- und Nachtpflege wird für Betroffene von der Pflegekasse bezahlt, bei Pflegestufe 5 mit bis zu 1995 Euro im Monat. Findet sich kein Anbieter für die Betreuung, verfällt die Leistung – wie im Fall von Franz Singhammer.
Die Betroffenen fallen durch alle Raster im System, erklärt Fussek. „Und ihre Familien zerbrechen irgendwann daran.“ Er räumt ein: „Es gibt nicht die Lösung für diese Schicksale.“ Aber das derzeitige Angebot für Betroffene sei eine Bankrotterklärung. „Wir sind so stolz auf unsere medizinischen Erfolge und unser Rettungssystem“, sagt er. „Aber wir haben keine Ideen und Kapazitäten, um Menschen mit einer Hirnverletzung ein würdevolles Leben zu ermöglichen.“ Betroffene Familien bräuchten Paten, die ihnen helfen, passende Angebote zu finden, fordert er. Das Tagespflege-System müsste flexibler werden. „Wir müssen unsere Angebote vernetzen und kreativ werden, um Lösungen zu finden.“
In Demenzgruppen sind Menschen mit Schicksalen wie Franz Singhammer nicht richtig untergebracht, betont auch Rüdiger Ilg, Chefarzt der Asklepiosklinik in Bad Tölz. Häufig handle es sich um junge Menschen, alle bräuchten individuell zugeschnittene Förderung. „Im stationären Bereich gibt es für Betroffene eine sehr gute Versorgung, bei weiterführenden Angeboten gibt es aber große Lücken.“ Besonders im ländlichen Bereich müsste es für Betroffene viel mehr ambulante Therapiekonzepte geben. Katrin Woitsch