München – Wenn Antonio Pianura erklärt, was er mit seinem großen Fund vorhat, läuft den Umstehenden das Wasser im Mund zusammen. „Eine Tagliatelle vielleicht, oder ein Risotto. Vielleicht auch eine Pasta oder ein Filetsteak mit Steinpilzen.“ Grob zwei Kilo Schwammerl hat der 68-jährige gebürtige Italiener dabei, fein säuberlich in Körbe gepackt. Am Sonntag war er zum ersten Mal seit zehn Jahren mit einem Freund bei Gauting (Kreis Starnberg) Pilze suchen, hatte gleich auf Anhieb Glück. „Steinpilze, Rotköpfe und Maronen habe ich hier“ – da ist sich Pianura sicher. Seine Frau weniger. Deswegen schickte sie ihn in die Pilzberatung in der Münchner Stadt-Info. „Bevor sie etwas isst, will sie sicher sein, dass ich nichts Giftiges gesammelt habe.“
Ähnlich wie Pianura geht es auch den anderen Sammlern, die sich heute vor den Tisch von Werner Edelmann drängen. Derzeit herrscht Hochkonjunktur im Wald, doch die Schwammerl-Liebhaber haben Fragen. Wie viel darf ich sammeln? Was ist giftig, was schmeckt? Edelmann kennt die Antworten aus dem Stegreif. Problemlos identifiziert der 52-Jährige vom Verein für Pilzkunde München Sammelstücke auf den ersten Blick, zählt ohne Hilfsmittel ähnliche Verwandte inklusive deren Merkmale auf, um Verwechslungen vorzubeugen. Das beeindruckt. Gut ein Dutzend Hilfesuchender lauscht dem Experten ständig. Viele bleiben auch noch, nachdem ihre Funde längst identifiziert sind.
Der Andrang zeigt auch, wie viel derzeit im Wald los ist. „Am Sonntag waren überall Sammler“, berichtet Pianura. „Die Steinpilze hatten sie schon fast alle abgeerntet.“ In den vergangenen Tagen erreichten die Redaktion Anrufe von Förstern, die klagten: „Wir werden überrannt.“ Im Internet präsentieren Sammler ihre Zentner-schweren Funde.
Edelmann verurteilt diese Auswüchse. Neulich sah er Bilder von einem Kleintransporter, voll mit Steinpilzen. „Das sind Trophäenjäger, keine Sammler mehr“, sagt er. „Die schaffen es ja nicht einmal, alle Pilze zu putzen, bevor die ersten schlecht werden.“ Um den Trophäenjägern vorzubeugen, unterstützt Edelmann die bestehenden Sammelgrenzen (siehe Kasten).
Biologisch sinnvoll seien diese allerdings nur indirekt. Edelmann erklärt: „Wir haben derzeit eine Steinpilzschwemme. Da würde es auch nicht schaden, wenn jemand ein wenig mehr mit nimmt.“ Studien hätten gezeigt, dass selbst starkes Sammeln Pilzen nicht schadet. „Wer aber mit seinem Trüffelhund den Wald umgräbt, zerstört das Biotop und damit auch die Pilze.“ Das Ziel müsse sein, den Lebensraum der Pilze durch naturgerechtes Sammeln zu erhalten. „Deswegen brauchen wir Obergrenzen.“
Edelmanns Leitbild teilen auch die Sammler, die zur Pilzberatung gekommen sind. „Ich würde nie Pilze sammeln, die ich nicht kenne“, sagt Katharina Weber. Die 32-jährige Münchnerin ging schon als Kind mit ihrer Oma Schwammerl suchen, legte dann eine 20-jährige Pause ein. Am Sonntag war sie mit Freunden im Ebersberger Forst unterwegs. Eine ganze Tasche Schwammerl kam zusammen, jetzt soll es Pilzsoße geben. „Pilzsammeln ist wie Fahrrad fahren: Das verlernt man nie“, sagt sie und lacht. Ihr Geheimnis: „Wer ein, zwei häufige Pilze kennt, die keine Doppelgänger haben, und auch wirklich nur die sammelt, schützt sich selbst und schont die Natur.“
Dass gutes Schwammerlsuchen und Naturschutz Hand in Hand gehen, meint auch Edelmann. „Die besten Stellen für Pilze findet man ohnehin nicht beim Querfeldeingehen tief im Wald, sondern am Rand und an Wegen.“ Am Waldrand merke das Pilzgeflecht, dass es etwas tun muss, um seine Art zu erhalten. Deswegen bilde es dort Fruchtkörper aus, die Sammler ernten können. „Wer klug sammelt, bleibt auf den Wegen und lässt die Natur so weit wie möglich in Ruhe.“ Außerdem bevorzugten die gängigen Speisepilze „ganz ordinäre Fichtenwälder wie den Forstenrieder Park“. Niemand müsse in geschützte Gebiete eindringen.
Diese Forderungen kommen an, findet Edelmann. Über die vergangenen Jahre habe sich das Sammelverhalten stark gebessert. „Früher dachten viele, wir wären eine Pilzkorb-Aussortierungsstelle. Die sammelten einfach alles, und wir sollten aussortieren.“ Doch die Pilzfreunde erklärten beharrlich die Hintergründe. Inzwischen hätten die meisten nur essbare Pilze im Korb, würden auch gerne mehr lernen. „Heute war ich sehr zufrieden. Das Interesse war groß.“