München – Einen Traum will sich Josef S. noch erfüllen: Er will in den Iran. „Das wird meine letzte große Reise sein“, sagt er. Vor neun Jahren hat der 59-Jährige aus Krailling (Kreis Starnberg) die Diagnose Prostatakrebs bekommen. Es folgte eine Operation, die Krankheit schien besiegt. Doch 2012 kam der Krebs zurück. Inzwischen hat Josef S. viele Metastasen in seinen Knochen, vor allem in der Wirbelsäule.
Wie lange ihm noch bleibt? Josef S. weiß es nicht. „Meine Aussichten sind nicht so rosig“, sagt er. Längst kämpft er nicht mehr darum, dem Leben mehr Tage zu geben. Stattdessen will er die verbleibende Zeit so schön wie möglich verbringen. „Es hat keinen Sinn zu hadern. Man muss das Beste daraus machen – und für mich gehört dazu jetzt auch Methadon.“
Dieses Medikament steht bei Krebspatienten seit einiger Zeit hoch im Kurs: Das künstlich hergestellte Opiat kommt nämlich nicht nur als legaler Ersatzstoff für Heroinabhängige zum Einsatz. Auch in Internetforen und Selbsthilfegruppen für Krebskranke wird intensiv darüber diskutiert – und am Samstag auch beim Krebsinformationstag in München (siehe Kasten).
Die Hoffnung vieler: Der Wirkstoff lindert starke Schmerzen, die sich mit anderen Arzneien nicht mehr in den Griff bekommen lassen. Dazu werde er nämlich schon seit Jahrzehnten eingesetzt, sagt Constanze Rémi, Fachapothekerin für Klinische Pharmazie am Klinikum der Universität München. In Deutschland komme hierzu die Variante „L-Methadon“ zum Einsatz.
Viele Krebspatienten hoffen aber auch auf einen weiteren Effekt: Methadon soll die Wirkung der Chemotherapie auf die Krebszellen – oder die bösartigen Zellen gar in den Selbstmord treiben. Berichte über eine Zufallsentdeckung am Ulmer Uniklinikum haben den „Hype“ 2017 entfacht: Dort experimentierte eine Forscherin im Labor mit Methadon und Krebszellen – und stellte dabei fest, dass diese abstarben.
Auf den Einsatz beim Menschen lassen sich die Ergebnisse aber nicht so einfach übertragen, warnen Krebsmediziner. Bis heute gibt es vor allem Einzelfallberichte und Studien mit relativ wenigen Teilnehmern. Das reiche nicht aus, sagt Prof. Volker Heinemann, Direktor des Comprehensive Cancer Center (CCC) – Krebszentrum München. „Wir brauchen hier weitere Forschung.“
Auch Josef S. würde sich mehr Studien zu Methadon wünschen. Er hat das Mittel im Sommer 2016 für sich entdeckt. Damals führten die wachsenden Metastasen zu immer stärkeren Schmerzen. Josef S. suchte nach alternativen Therapien – und wurde fündig: Ein Onkologe erzählte ihm von Methadon und dessen möglicher Doppelwirkung. Josef S. wollte es probieren.
Beflügelt von der Hoffnung erhöhte er die Dosis zu schnell. Ein gefährlicher Fehler. Josef S. bezahlte ihn zum Glück nur mit einem harten Wochenende: Er lag flach, mit Kopfweh und Übelkeit. Wie nach einem „wahnsinnsschlimmen Kater“, sagt er. „Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass das Zeug nicht ohne ist.“
Auch Experten warnen vor den Risiken: Verstopfung und Müdigkeit sind dabei noch die harmloseren Nebenwirkungen. Methadon könne auch den Atemreflex dämpfen und schwere Herz-Rhythmus-Störungen auslösen, warnt Heinemann. Selbst zu Todesfällen sei es schon gekommen. Und: Es drohten gefährliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Wer auf Methadon setzt, sollte darum immer alle an der Therapie Beteiligten darüber informieren.
Josef S. hat die Dosierung heute gut im Griff. Wenn es klappt, reduziert er die Menge sogar. Denn eins will er auf keinen Fall: Die Zeit, die ihm bleibt, mit einem Nebelschleier im Kopf verdämmern. Solange es geht, will er bewusst und aktiv leben. Die geplante Reise in den Iran gehört für ihn auch dazu.