Ein großer Sänger vor dem Herrn ist der Maßschneider gewiss nicht, wenn sich auch sein Repertoire, im Hinterkopf gespeichert, durchaus sehen lassen kann. Von vielen Liedern kennt er freilich nur noch den Anfang. Singt er nun im Bass, Bariton oder gar in Tenor? Weder noch, seine Stimme ist eher rau, wenn nicht heiser.
Hier gleich einmal ein paar Beispiele: „Wenn ein Mädchen einen Herrn hat, den sie lieb und den sie gern hat, fragt sie nicht nach Geld und Gut, wenn er nur gut küssen tut.“ Oder: „Rosemarie, Rosemarie, sieben Jahre (oder 17 oder gar 70?) mein Herz nach dir schrie. Bald bin ich alt, bald bin ich alt, aber mein Herz ist noch lange nicht kalt…“ (Wer’s glaubt.)
Zu seinem Liedgut gehören auch grobe, schwülstige und spöttische Texte, zum Beispiel „Meine Oma ist schon 70 und sie hat noch keinen Mann, doch sie freut sich ihres Lebens, weil sie Fußball spielen kann“. Durch seinen Jahrgang bedingt kennt er auch Soldatenlieder: „Unter der Laterne vor dem großen Tor…“ Und noch ein abgewandeltes: „Ich hatt einen Kameraden, einen besseren findst du nicht. Er schritt an meiner Seite und sucht mit mir das Weite…“ Was ihm unter Adolf wegen Fahnenflucht gewiss ins Lager gebracht hätte. Schön plätschert die Waldeslust vor sich hin: „Ach ihr lieben Vögelein, stimmt in meine Lieder ein und singt aus voller Brust die Waldeslust. Meinen Vater kenn ich nicht, meine Mutter liebt mich nicht und sterben mag ich nicht, bin noch zu jung.“ Auch der Wildschütz Jennerwein lässt grüßen: „Es war ein Schütz in seinen besten Jahren, der wurd hinweggeputzt von dieser Erd, man fand ihn erst am neunten Tage am Tegernsee am Peißenberg.“
Als Münchner stehen natürlich auch „In München steht ein Hofbräuhaus“ und „Solang der oide Peter“ auf dem Programm. Auch Bert Brecht taucht noch auf: „Und der Haifisch der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht, und MacHeath der hat ein Messer, doch das Messer sieht man nicht.“
Auch auf hohe See begibt sich der Maßschneider manchmal: „Es weht der Wind mit Stärke 10, das Schiff schwankt hin und her, am Himmel ist kein Stern zu sehen, es tobt das wilde Meer… das kann doch einen Seemann nicht erschüttern, keine Angst, keine Angst Rosmarie. Wir lassen uns das Leben nicht verbittern…“
Lieblingstexte sind auch Küchenlieder, wie sie einst von Müttern beim Bügeln oder von Hinterhofsängern gesungen worden sind. Hier ein paar davon: „Warum weinst du holde Gärtnersfrau, weinst du um der Veilchen Dunkelblau… doch sie weint um den Geliebten, der gezogen in die Welt hinein und dem sie die Treu versprochen hat, die sie als Gärtnersfrau gebrochen hat…“ Das Drama nimmt seinen Lauf, als er mit einem Blumenstrauß in der Hand zurückkehrt: „Mit dem Blumenstrauße in meiner Hand will ich ziehen durch das ganze Land, bis dereinst mein müdes Auge bricht, Schatz lebe wohl, vergiss den Wanderer nicht!“ Das Zweite: „Mariechen saß weinend im Garten, im Grase lag schlummernd ihr Kind…“ Aber sie hat Schlimmes vor: Weil sie der Vater verlassen hat, will sie sich mit Kind in den See stürzen, bis sich doch noch die Wende anbahnt: „Da öffnet das Kindlein die Augen, blickt auf zur Mutter und lacht, die Mutter die weinet vor Freuden, drückt’s an ihr Herz mit Macht. Nein nein, wir wollen leben, wir beide du und ich, deinem Vater sei alles vergeben, wie glücklich machst du mich.“
Nicht zu vergessen das allerschönste Kind, das man in Polen find, das allerdings jeden Kuss verweigerte. Selbst als ihr beim Tanze ein Röslein rot aus dem Kranze fiel und von einem Bewunderer aufgehoben wurde, versagte sie sich. „Doch als der Tanz zu Ende, da nahm sie meine Hände und sprach zu mir. Nimm hin mein stolzer Kavalier den ersten Kuss von mir, vergiss Maruschka nicht, das Polenkind.“ Auch die Loreley („Ich weiß nicht, was soll es bedeuten…“) sei noch erwähnt nebst einer Version von Karl Valentin „und dem Schiffer hat er gstunga, wia sei Kaan is owa gsunga“.
Singe, wem Gesang gegeben. Vielleicht hat der Maßschneider durch diese Verse auch manche Leser angeregt, in ihre persönliche Textschublade zu greifen.
Maßgeschneidert
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unser Turmschreiber