Langer Weg zum barrierefreien Bahnhof

von Redaktion

Bis 2023 soll Bayern barrierefrei sein. Na ja, fast zumindest. Manchmal klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander, wie am Beispiel eines S-Bahnhofs deutlich wird.

VON DIRK WALTER

Hallbergmoos – Es ist ein langer Weg. Wer als Rollstuhlfahrer nach einem Ausflug aus München am Bahnhof Hallbergmoos ankommt und zu seinem Auto auf der anderen Seite der Bahngleise möchte, der hat es nicht leicht. Erst geht es bergauf, unter einer Brücke durch, dann eine Kreisstraße entlang über die Bahngleise. Dann eine lange Rampe wieder runter, eine Spitzkehre, dann ist man endlich auf der anderen Seite des Bahnhofs. Dort wo der große Park-and-Ride-Parkplatz gebaut worden ist. 630 Meter sind es, das hat Karl-Heinz Zenker nachgemessen.

Der 68-Jährige ist Gemeinderat in Hallbergmoos, einer prosperierenden Flughafen-Gemeinde mit 11 000 Einwohnern im Landkreis Freising. Zenkers Ehefrau hat Pflegestufe 2, ist auf den Rollstuhl angewiesen. Dass Rollstuhlfahrer oder auch Eltern mit Kinderwägen zu Umwegen gezwungen sind, will das Ehepaar nicht einsehen.

Zwar gibt es am Bahnhof auch eine Unterführung. Aber die hat nur eine steile Treppe. „Nicht einmal an eine Rampe für Kinderwägen hat man gedacht.“ Dabei ist der Bahnhof Hallbergmoos gar nicht so alt – er wurde 1992 gebaut. Die Sache mit der Barrierefreiheit sah man damals offenbar nicht so eng.

Rechtlich gleichgestellt sind die Behinderten auch erst seit der Verabschiedung der UN-Gleichstellungskonvention von 2006 und dem deutschen Ausführungsgesetz von 2008, in der die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen versprochen wird. Dazu zählt auch der „gleichberechtigte Zugang“ zu öffentlichen Verkehrsmitteln. Ist der Hallbergmooser Umweg ein „gleichberechtigter Zugang“? Zenker findet das nicht.

Der Bahnhof Hallbergmoos ist nicht gerade ein Schmuckstück. Die Wartehäuschen: winzig. Die Unterführung: übersät mit Schmierereien und Spinnweben. Am Bahnsteig sind große Löcher im Beton mit gelber Sprühfarbe markiert. Achtung, Stolperfalle, soll das wohl bedeuten. Aber die Farbe verblasst langsam. „Die Bahn kümmert sich um nichts“, ärgert sich Zenker, während er schnaufend die Treppe hochsteigt.

Die Bahn weiß immerhin, dass sie im Verzug ist. Derzeit sind nur knapp zwei Drittel aller 150 S-Bahnhöfe komplett barrierefrei, weitere sollen aber folgen. Ob Buchenau, Riem, Grafing oder Heimstetten – die Liste der Projekte in der Warteschleife ist lang und kann nur Stück für Stück abgearbeitet werden (siehe Kasten). Derzeit läuft schon das dritte Ausbauprogramm. Hallbergmoos ist wieder nicht dabei. 13 Stationen im S-Bahn-Gebiet sind noch in gar keinem Programm. Aber es eilt: Bis 2023 soll Bayern barrierefrei sein, so hat es der ehemalige Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) in seiner Regierungserklärung einst versprochen. Das ist der Anspruch. Und die Wirklichkeit? Die Bahn und das bayerische Verkehrsministerium halten Zenkers Anliegen offenkundig für ein Luxusproblem. Denn nach der Definition des MVV gilt der Bahnhof als „barrierefreie Station“, wenn auch mit dem einschränkenden Zusatz: „nur auf sehr langen Wegen“.

Dabei ist die Lösung naheliegend: Entweder müssten in Hallbergmoos seitliche Rampen gebaut werden, die an die Unterführung andocken. Oder aber Aufzüge. Sie könnten entweder seitlich an der Unterführung versenkt oder aber oberirdisch an der Straßenbrücke angebaut werden, meint Zenker. Anläufe dazu gab es: 2013 beschloss der Gemeinderat, den Aufzug zu bauen. Doch man ließ den Plan wieder fallen – Kostengründe. Rampen waren 2016 im Gespräch – auch das scheitert. Zenker schrieb E-Mails und Petitionen – ohne Erfolg. „Ich bitte um Verständnis, dass der Freistaat seine freiwilligen Mittel prioritär dorthin im Bahnnetz investiert, wo noch nicht einmal die Stufenfreiheit gewährleistet ist“, beschied ihm ein Mitarbeiter des Verkehrsministeriums.

Pläne gab es viele – gebaut

wurde nichts

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