Der Tod des Strauß-Vertrauten

von Redaktion

Urgestein, konservative Leitfigur, Strauß-Intimus: Wilfried Scharnagl, einst Chefredakteur des „Bayernkuriers“ und eng vertraut mit der CSU-Vaterfigur, ist im Alter von 79 Jahren gestorben.

VON DIRK WALTER

Allershausen – Vor wenigen Wochen erst besuchte ein Reporter des „Spiegel“ den einstigen CSU-Vordenker Wilfried Scharnagl in seinem Haus in Allershausen (Kreis Freising). Es ging – natürlich – um die CSU, die Krise und so. Aber auch darüber, was Franz Josef Strauß noch bedeutet. Im Hause Scharnagl sehr viel. „Adelgundis, wo hab ich die Uhr vom Strauß“, rief Scharnagl dann im Beisein des Reporters. Worauf die Ehefrau das gute Stück holte, das dann verzückt auf den Tisch gelegt wurde. Allgemeine Bewunderung.

Die Geschichte mit der Uhr, einer Breitling, die fällt auch Franz Georg Strauß sofort wieder ein. Sein Vater trug sie am Tag seines Todes 1988 im Wald bei Regensburg am Handgelenk, als er plötzlich zusammenbrach und starb. Wenige Wochen später wurde Scharnagl 50. Eine geplante Feier sagte er aus Trauer über den Tod von Strauß ab. Später setzte er sich hin und brachte die Memoiren, die Strauß einst auf Tonbänder diktiert hatte, zu Papier. Eine mühsame, jahrelange Arbeit. „Wir haben ihm damals die Uhr geschenkt“, erinnert sich Franz Georg Strauß. Als Zeichen der Dankbarkeit, denn Scharnagl war den Kindern auch in der Zeit nach dem Tod ihrer Mutter Marianne 1984 eine Stütze gewesen. Strauß und Scharnagl – der eine war einst ohne den anderen kaum zu denken. „Da hatten sich zwei gefunden“, sagt Franz Georg Strauß.

Am Dienstag ist, 30 Jahre nach dem Tod des einen, auch der andere gestorben. Die gesamte CSU-Führung verneigte sich gestern vor dem Mann: „Er war ein Urgestein der CSU“, sagte CSU-Chef Horst Seehofer, eine „konservative Leitfigur“ nannte ihn CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer, „ein Stück Geschichte“ CSU-Generalsekretär Markus Blume.

Scharnagl war Journalist, kein Politiker. In den 1960erJahren begann er als Volontär beim „Freisinger Tagblatt“, das heute zum Münchner Merkur gehört, damals aber noch selbstständig einen Politikteil herausbrachte. Weltpolitik aus der Domstadt also: So kam es, dass Volontär Scharnagl von Freising aus die Berichte über die Ermordung von John F. Kennedy 1963 in die Zeitung brachte. Kurze Zeit später wechselte er in die CSU-Landesleitung, 1977 übernahm er die Chefredaktion des „Bayernkurier“, der heute nur noch online erscheint, damals aber eine viel beachtete Zeitung war.

„Er schreibt, was ich denke, und ich denke, was er schreibt“, sagte Franz Josef Strauß einst bei einer Buchpräsentation über Scharnagl. Das traf es ganz gut. Die wöchentlichen Leitartikel von Strauß waren auch Scharnagls Werk, oft brachte Strauß nur stichpunktartig seine Gedanken zu Papier, die Scharnagl dann – unter dem Namen des CSU-Chefs – ins Parteiblatt setzte.

Schon seit den 1970er-Jahren bildete sich das enge Verhältnis der beiden heraus, obwohl beide lange Jahre beim „Sie“ blieben und Strauß den über 20 Jahre Jüngeren erst ganz zum Schluss duzte. Scharnagl begleitete Strauß auf vielen Reisen, auch 1975 zu Mao nach China und 1987 zu Gorbatschow nach Moskau, privat mit dem Geländewagen durch die italienischen Alpen.

Scharnagl bewunderte Strauß bedingungslos. Aber er wollte im Gegensatz zu anderen nichts werden, obwohl sich in der Kanzlerschaft von Helmut Kohl seit 1982 wohl Möglichkeiten ergeben hätten. Vielleicht hinderte ihn die Verbundenheit zum Freisinger Land, das ihm, dem gebürtigen Sudetendeutschen, mit seiner Frau und seiner Tochter zur Heimat geworden war, an einer weitergehenden Karriere. Strauß schätzte solche Leute durchaus, er war ja ansonsten oft von Günstlingen und Höflingen umgeben.

In die Politik zog es Scharnagl, soweit bekannt, nie. Nicht einmal Gemeinderat in Allershausen war er. Sein Metier war die Publizistik. Bis 2001 leitete Scharnagl die Zeitung, hämmerte seine Gedanken in die Schreibmaschine. Einen Computer lehnte er zeitlebens ab. „Der Mann konnte druckreif formulieren“, sagt Franz Georg Strauß.

Auf diese Weise verfasste er später einige Bücher, auch ein provokantes mit dem Titel „Bayern kann es auch allein“ war darunter.

Es gab darum 2012 einigen Wirbel. Dann aber wurde es stiller um den zusehens gebrechlichen Mann, der nun nach zwei schweren Stürzen mit Brüchen und einem Schlaganfall gestorben ist.

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