Germering/München – Mittwochnacht, 2.30 Uhr: Das SEK hat sich in zivilen Polizeiautos um den Kleinen Stachus in Germering (Kreis Fürstenfeldbruck) postiert. Seit Monaten sind die Ermittler einer international organisierten Bande auf den Fersen, die bundesweit Geldautomaten knackt – und zwar per Gasexplosion.
Mit einem geklauten, schwarzen 450-PS-Audi fahren die beiden Täter vor den Eingang der Sparda-Bank an der Otto-Wagner-Straße. Ein Mann geht mit Gasflaschen in die Bank, direkt zu den Geldautomaten. Dort will er Gas einleiten und das Gemisch aus sicherer Entfernung zünden. Durch die Explosion sollen die Automaten zerstört und die Geldkassetten freigelegt werden. Der Komplize wartet vor dem Wagen, bereit für die Flucht.
Die Polizisten rasen vor den Eingang der Bank, kreisen den Audi ein und wollen die Gangster stellen. Der Fahrer springt ins Auto, drückt aufs Gas und fährt einen Polizisten an, der sich das Schien- und Wadenbein bricht. Dessen Kollegen eröffnen das Feuer. Mehrere Kugeln durchschlagen die Windschutzscheibe. Ein Projektil trifft den 27-jährigen Täter an der Schulter. Das Auto kommt zwischen einer Laterne und einem Polizeikombi zum Stehen. Der zweite Täter entkommt zu Fuß. Ein Polizeihubschrauber soll bei der Fahndung helfen. Bis zum Abend ohne Erfolg. Dafür heben die Ermittler eine Art Stützpunkt der Bande in einer Gilchinger Wohnung (Kreis Starnberg) aus. Zwei Frauen (17, 19) und ein Mann (47) werden verhaftet. Sie sollen beim Ausspähen der Filialen geholfen haben.
Wie die Schwerkriminellen vorgehen, schildert die Polizei am Vormittag danach. Während in Germering noch die Spurensicherung beschäftigt ist, läuft im Münchner Präsidium die Pressekonferenz. Sprecher Marcus da Goria Martins will nach der Frage, warum einer der Täter flüchten konnte, etwas klarstellen: „Wir haben es hier mit hochgradig polizeierfahrenen Profis zu tun. Das sind Täter der Preisklasse Champions League.“ Über ihre Herkunft will sich die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen nicht äußern. Gerüchten zufolge handelt es sich um Nordafrikaner, die mit niederländischen Pässen nach Deutschland einreisen.
Da Gloria Martins und Einsatzleiter Markus Kraus betonen nicht nur, wie professionell, sondern auch wie brutal die organisierten Automatensprenger vorgehen. „Bei der Flucht nehmen sie keine Rücksicht auf Verluste“, sagt Kraus.
In Germering beschädigen sie fünf Polizeiautos. Neben dem angeschossenen Täter und dem angefahrenen Polizisten werden zwei weitere Beamten verletzt.
Bettina Schönitz wird zusammen mit ihrer Tochter und ihren Enkeln von den Schüssen aus dem Schlaf gerissen. Sie wohnt in unmittelbarer Umgebung des Tatorts. Was sich wenige Sekunden zuvor auf dem Platz im Herzen der Stadt abgespielt hat, ahnt Schönitz zu diesem Zeitpunkt noch nicht. „Das realisiert man in dem Moment noch nicht“, sagt sie. „Ich möchte gar nicht daran denken, was passiert wäre, wenn sie den Automaten wirklich gesprengt hätten.“
Nach dem Angriff auf die Germeringer Bank hat die Staatsanwaltschaft München I wegen des „Versuchs der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und Bandendiebstahls“ Anklage erhoben.
Schon länger sind Mitglieder Banden in Bayern auf Raubzug. 28 versuchte oder erfolgreiche Sprengungen gab es seit Anfang 2017 – einige davon im Großraum München (siehe Karte), wo die Täter mehrfach große Beute machten. 190 000 Euro ließen sie am 7. Dezember 2017 aus einem gesprengten Automaten der Commerzbank in München-Schwabing verschwinden. Die Deutsche Bank in Ottobrunn wurde gleich zweimal Opfer: Am 11. Oktober 2017 nahmen die Panzerknacker 163 000 Euro mit, am 25. April 2018 sogar 350 000 Euro. Einen Tag später explodierte ein Gasgemisch in der Deutschen Bank in Grünwald – 173 000 Euro fehlten hinterher. joh/gma/tog