München – Als Christian Schiller den Brief des Landratsamts liest, reicht es ihm. Er will ein Zeichen setzen. Das Landratamt Starnberg hat dem Herrschinger Bürgermeister eine siebenköpfige syrische Familie zum Rathaus geschickt – mit der Aufforderung, sie unterzubringen. Der Familienvater hat Frau und Kinder nach seiner Anerkennung nachgeholt, Wohnung und Arbeit hat er nicht. Schiller sieht nicht ein, dass die Gemeinde sich allein kümmern soll. Er bestellt ein Taxi und schickt die Familie zurück ins Landratsamt. Dort organisiert man schließlich ein Zimmer in einer Asylunterkunft für sie.
Dieser Vorfall liegt zwei Jahre zurück. Heute sagt Christian Schiller: „Es war völlig richtig, was ich damals getan habe. Wenn wir uns nicht gewehrt hätten, wären wir Gemeinden alleingelassen worden mit dem Familiennachzug.“ Damals waren die Zuständigkeiten nicht geregelt, die Flüchtlingsunterkünfte voll – und die Behörden überfordert.
Szenen wie diese spielen sich nicht mehr ab in Bayern. Die Situation hat sich entspannt. Nicht nur, weil Freistaat, Kreise und Kommunen nun eng zusammenarbeiten. Auch, weil weniger bleibeberechtigte Asylbewerber ihre Familien nachholen als prognostiziert. „Die meisten Familien flüchten zusammen“, sagt ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums. „Und rund 75 Prozent der Geflüchteten sind ledige Männer, die keinen Anspruch auf Familiennachzug haben.“ Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) war 2017 davon ausgegangen, dass die Flüchtlinge, die 2015 und 2016 eingereist waren und Asyl bekommen hatten, etwa eine halbe Million Menschen nachholen würden. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hatte für denselben Zeitraum 100 000 bis 120 000 prognostiziert. Diese Prognose scheint näher an der Realität zu sein als die des Bamfs. Laut Auswärtigem Amt sind vergangenes Jahr 117 992 Visa im Zuge des Familiennachzugs erteilt worden – für alle Migranten, nicht nur für Asylbewerber. Für Flüchtlinge aus den Hauptherkunftsstaaten (Syrien, Irak, Afghanistan, Iran, Eritrea, Jemen) wurden 2017 54 307 Visa erteilt. Zahlen für Bayern liegen nicht vor.
Dass die Zahlen niedriger sind als erwartet, liegt auch daran, dass es nicht alle schaffen, die Voraussetzungen zu erfüllen (siehe Kasten). Nur Flüchtlinge mit Bleiberecht dürfen ihre Familien nachholen. Wenn sie den Antrag in den ersten drei Monaten nach der Anerkennung stellen, müssen sie nicht nachweisen, dass sie eine Wohnung haben und für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen können. Aber sie müssen viele Papiere vorlegen, die sie in ihren Heimatländern oft nicht bekommen. „Bei uns leben viele Menschen aus Eritrea“, sagt Semra Yazan-Bachmayr von der AWO in Hausham, die Flüchtlinge im Kreis Miesbach beim Familiennachzug unterstützt. „In Eritrea werden keine Heiratsurkunden ausgestellt – die müssten die Betroffenen aber vorlegen, um ein Visum für Ehepartner zu bekommen.“ Die Kosten für Flug und Visa kann kaum ein Flüchtling übernehmen, sagt sie. Die AWO vergibt deshalb zinslose Darlehen. Trotzdem ist es im Kreis Miesbach seit Jahresbeginn nur 80 Menschen gelungen, ihre Familien nachzuholen.
Wenn die notwendigen Unterlagen vorliegen, wird der Nachzug für Landkreise und Gemeinden oft zur Herausforderung. „Kaum einem Flüchtling gelingt es, eine Wohnung zu finden“, berichtet Schiller aus Herrsching. „Es gibt ja kaum freie Wohnungen.“ Viele Familien werden erstmal in den Asylunterkünften einquartiert – keine Dauerlösung. Und keine besonders gute, sagt Yazan-Bachmayr. „Dort leben dann große Familien in zwei kleinen Zimmern.“
Für den Familiennachzug ist auch der Warteraum Asyl in Erding wieder in Betrieb. Vergangene Woche landete dort der erste Sammel-Charterflug aus Griechenland mit 177 Menschen an Bord. Sie werden nach ihrer Ankunft vom Bamf registriert und von den Mitarbeitern des Roten Kreuzes medizinisch versorgt und bei Bedarf mit Kleidung ausgestattet. Einige werden dort von ihren Angehörigen abgeholt, andere werden von den Behörden in die Landkreise weitergeleitet, in denen ihre Angehörigen untergebracht sind. Für sie beginnt ihr Leben in Deutschland dann trotz Visum in einer Asylunterkunft.