München/Daiting – Die Steinplatte ist nur so groß wie ein Blatt Papier. Doch der Kalkstein-Fund mit den fossilen Überresten eines Urvogels aus dem schwäbischen Daiting gilt als Sensation. Es handelt sich dabei um eine ganz neue Art des Archaeopteryx, die 400 000 Jahre jünger ist als alle bekannten Exemplare. Sie besitze mehr Gemeinsamkeiten mit heutigen Vögeln als mit ihren Dinosaurier-Vorfahren, sagte Per Ahlberg von der Universität Uppsala in Schweden. Besser als in früheren Studien könne man nun zeigen, dass der sogenannte achte Archaeopteryx ein ursprünglicher Vorläufer der Vögel sei.
In Grenoble war das Fossil untersucht worden – mit einer hochauflösenden Computertomografie. „Es war das erste Mal, dass wir die vielen Knochen und Zähne des Archaeopteryx von allen Seiten anschauen konnten, inklusive ihrer inneren Struktur“, sagte Martin Kundrát von der Universität im slowakischen Kosice. Seine Knochen waren dünner als bei anderen Exemplaren und hatten luftgefüllte Hohlräume. Außerdem war die Fläche größer, an der die Flugmuskeln befestigt waren. Die Forscher gelangten deshalb zu der Überzeugung, dass dieser Archaeopteryx besonders gute Fähigkeiten zum Fliegen hatte. Ob er wirklich flog oder nur glitt, ist für sie jedoch unklar. Ein anderes Team war im März dagegen zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Urvögel generell fliegen konnten.
Die gefiederten Wesen lebten vor 150 Millionen Jahren und waren eine Mischung aus Dinosauriern und Vögeln. „Er hat flugfähige Federn, hat aber noch einen langen Knochenschwanz“, erklärt Daniela Schwarz vom Museum für Naturkunde in Berlin – dazu einen Kiefer mit Zähnen statt eines Hornschnabels. Die Flügel sind schon entwickelt, allerdings noch mit Krallen vornedran. „Es gibt nach dem Archaeopteryx noch eine Reihe von Vogelvorfahren“, sagt Schwarz. Vor 60 Millionen Jahren habe es dann schon richtige Vögel gegeben.
Alle zwölf Exemplare des Archaeopteryx, die seit dem ersten Fund 1861 entdeckt wurden, stammen aus der Region um das Altmühltal, dort wo heute die berühmten Steinbrüche von Solnhofen oder Mörnsheim sind. „Hier war der Nordrand des Urmittelmeeres“, erklärt der Paläontologe Oliver Rauhut von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie. „Diese Tiere lebten hier offenbar in einem Inselarchipel in einem tropischen Korallenriffbereich.“ Traumhaft – vor allem für Forscher. Denn in den flachen Lagunen war Kalkschlamm, der tote Tiere oder Fische umschloss, sodass sie luftdicht eingebettet waren und versteinerten.
Dass der Daitinger Urvogel nun untersucht werden konnte, ist dem Paläontologen Raimund Albersdörfer zu verdanken. Ein Fossiliensammler hatte das wertvolle Stück 1990 entdeckt. Danach galt es jahrelang als verschollen und lagerte viele Jahre in einem kleinen Dorf in Bayern. 1996 tauchte der Urvogel als Kunststoff-Abguss in einer Ausstellung in Bamberg auf. Die Forscher waren begeistert, doch die Reproduktion war bald darauf wieder spurlos verschwunden, ebenso wie das Original.
Albersdörfer blieb hartnäckig. „Ich habe ewig nachrecherchiert“, erinnert sich der 53-Jährige. Weil er als Fossilienhändler in der Szene gut vernetzt war, fand er eine heiße Spur und konnte den Urvogel 2008 endlich kaufen. Bei den Mineralientagen 2009 in München erregte er mit seiner Errungenschaft großes Aufsehen. Anschließend stellte er seinen Schatz der Wissenschaft zur Verfügung. Die Forscher dankten es ihm und nannten die neue Art Archaeopteryx albersdoerferi. Forscher Rauhut ist allerdings skeptisch, ob es sich tatsächlich um eine neue Art handelt. Beim Archaeopteryx habe man noch ein sehr schlechtes Verständnis der Unterteilung in Arten.
Albersdörfer will sein wertvolles Fossil in wenigen Tagen öffentlich zeigen, im Dinosaurier-Museum Altmühltal in Denkendorf, wo gerade eine Ausstellung über Flugsaurier läuft. Dann können sich die Besucher ein Bild von dem Fossil machen, über das die Forscher sagen: Der Archaeopteryx albersdoerferi sei einer der geheimnisvollsten Urvögel.