Meiling – Irmgard K. ist eine resolute Frau. Mit lauter, fester Stimme beantwortet sie die Fragen des Vorsitzenden Richters Thomas Bott. Manchmal fährt sie ihm auch in die Parade, schimpft über die Medien. Dann greift sie wieder zu ihrem Taschentuch. Für einen Moment scheinen ihr die Ausmaße des Horrors vor Augen zu kommen, den sie in der Nacht vom 4. auf den 5. September 2015 erleben musste. In ihrem Haus in Meiling (Kreis Starnberg) wurde sie von mehreren Männern überfallen. Die Rumänen, die später in Österreich wegen ihrer kleinen Statur und ihres flinken Vorgehens als Froschbande bezeichnet wurden, hatten es auf Schmuck und Bargeld abgesehen.
Irmgard K. war im Einschlafen, als sie ein erster Faustschlag ins Gesicht traf. Danach ging alles blitzschnell. Sie wurde geschlagen und getreten, sie musste die Räuber zu ihrem Haushaltsgeld führen, anschließend wurde sie in eine Kammer geschubst. Als sie sich halbwegs gefangen hatte, sah sie ihren blutüberströmten Mann auf dem Boden liegen. „Ja, Mo – wie schaugst denn Du aus“, sagte sie zu ihm. Der 72-Jährige sagte ihr mit letzter Kraft, dass vier Männer mit Prügeln auf ihn losgegangen wären. Er war gerade auf der Terrasse gewesen, vermutlich, um eine Zigarette zu rauchen, schlussfolgerte die 70-Jährige am Freitag vor dem Landgericht München II. Das habe er im Sommer öfters getan, gerne auch mitten in der Nacht, wenn er wach wurde.
Irmgard K. versorgte ihren Mann notdürftig mit Pflaster und destilliertem Wasser. Beides fand sie im Kammerl. „Doch er blutete weiter leise vor sich hin“, erinnert sie sich. Stunden später sprach sie ihn noch einmal an. Es kamen nur noch zwei krächzende Laute. „Dann hat er die Augen aufgerissen und mich intensiv angeschaut“, sagt die Witwe. Anschließend neigte er den Kopf zur Seite in eine Nische und wurde bewusstlos. Sie legte ihm den schwer verletzten Arm auf den Oberschenkel. Danach bewegte er sich nicht mehr. Dass ihr Mann in den frühen Morgenstunden des Samstags starb, ließ sie nicht an sich herangekommen. „Hatten Sie den Eindruck, er ist tot?“, fragt Staatsanwältin Karin Jung nach. „Nein“, erwidert die Witwe, „sonst wäre ich verrückt geworden.“ Der Schock ließ sie kaum Schmerzen spüren, dabei hatte sie beidseitige Rippen-Serien-Brüche erlitten. Hunger spürte sie nicht, gegen den Durst trank sie kleine Schlucke vom destillierten Wasser.
Immer wieder machte sie sich bemerkbar, schrie „Hilfe, Hilfe, Überfall“, wenn sie die Postbotin hörte oder ein Auto vorbeikam. „Aber es hat mich halt niemand gehört.“
Ein letztes Mal nahm sie am Montagmorgen ihre Kraft zusammen, als sie wusste, dass der Zeitungsausträger vorbeikam. Es passierte zunächst nichts. Dann, um 8.10 Uhr, läutete das Telefon. Irmgard K. schöpfte Hoffnung. Kurz darauf befreite sie die Austrägerin Margot A. Ihr Mann Jörg hatte sie herbeigerufen. Margot A. ging durch die aufgebrochene Terrassentür ins Haus und bewegte den Wohnzimmertisch zur Seite, mit dem die Einbrecher die Tür zum Kammerl blockiert hatten. „Schauen Sie meinen Mo“, krächzte Irmgard K., „ich brauche einen Notarzt.“
Zuerst holte sie ihre Pantoffeln, trank Wasser und gab dem Hund zu fressen und zu trinken. Dann schaute sie, was fehlte. Auf dem Weg ins Krankenhaus ließ sie alle Konten sperren, weil sie die Kreditkarte ihres Mannes nicht finden konnte.
Vier Wochen war sie im Krankenhaus, drei Wochen auf Reha. Dann wollte sie heim, ans Grab ihres Mannes. Ins Haus kehrte sie nicht mehr zurück. „Sie können da nicht mehr wohnen?“, erkundigt sich der Richter. „Nein“, sagt Irmgard K. und beginnt erstmals zu weinen. Die Austrägerin berichtet über die Folgen der Tat für den ganzen Ort. „Etliche Leute haben sich Alarmanlagen einbauen lassen“, sagt sie. Der Prozess dauert an.