München – Um drei Uhr morgens wird die Zeit am Sonntag um eine Stunde zurückgestellt. Dann tickt Deutschland – wie fast alle anderen europäischen Länder auch – wieder nach der Winterzeit. Dass die Uhren den Lebensrhythmus bestimmen, ist historisch ziemlich neu. Bis weit ins 19. Jahrhundert richteten sich Bauern, Arbeiter und Handwerker bei ihrer Zeiteinteilung nach Sonnenstand, Klima, der Natur oder nach der anfallenden Arbeit. Noch bis Ende des 19. Jahrhunderts hatte jeder Ort seine eigene Zeit, die sich am Stand der Sonne orientierte. Aber mit dem Ausbau des europaweiten Eisenbahnnetzes wurde eine einheitliche Zeit immer wichtiger.
Eine globale Vereinheitlichung der Zeit wurde erstmals 1884 angestrebt, als in Washington die Einteilung der Welt in 24 Zeitzonen beschlossen wurde. Für Deutschland trat am 1. April 1893 ein von Kaiser Wilhelm II. unterzeichnetes Gesetz in Kraft, mit dem die „mittlere Sonnenzeit des 15. Längengrades östlich von Greenwich“ im gesamten Deutschen Reich zur einzig gültigen Uhrzeit bestimmt wurde.
Der Krieg erwies sich dann als Vater einer veränderten Zeitrechnung. Ab 1916 führte das Kaiserreich eine Sommerzeit ein, um das Tageslicht in Landwirtschaft und Rüstungsindustrie besser nutzen zu können. Drei Jahre lang stellte Deutschland die Uhren von Ende März bis Ende September eine Stunde vor. 1919, zu Beginn der Weimarer Republik, wurde diese ungeliebte Kriegsmaßnahme wieder rückgängig gemacht. Auch zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Sommerzeit wieder eingeführt. Eine Stunde mehr Helligkeit bedeutete mehr Arbeitszeit – ein wichtiger Aspekt in der Rüstungsindustrie.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs führte dann zu einem kleinen Zeitchaos. Als Nazi-Deutschland am 8. Mai 1945 kapitulierte, waren die Uhren bereits auf Sommerzeit umgestellt. In der sowjetischen Besatzungszone wurden am 24. Mai die Uhren noch eine weitere Stunde vorgedreht – das entsprach der Moskauer Zeit. Weil die Sommerzeit in den westlichen Besatzungszonen früher beendet wurde, gab es eine Woche lang einen Unterschied von zwei Stunden zwischen den beiden Teilen Deutschlands.
Und es wurde noch komplizierter: 1947 wurde überall im geteilten Land mit dem doppelten Zeitsprung experimentiert – im April begann die gewöhnliche Mitteleuropäische Sommerzeit, im Mai sprang man eine weitere Stunde auf die Mitteleuropäische Hochsommerzeit, im Juni und Oktober dann jeweils wieder eine Stunde zurück. Ein einmaliges Experiment.
Zwischen 1950 bis 1979 drehte Deutschland nicht an den Uhren. Doch schließlich veränderten die Ölkrise und der Druck des europäischen Auslands erneut den Takt: Dahinter stand die Überzeugung, durch eine bessere Nutzung des Tageslichts Energie sparen zu können. Am 6. April 1980 wurde in beiden deutschen Staaten erneut die Sommerzeit eingeführt. Bis 1996 wurden die unterschiedlichen Sommerzeitregelungen in der Europäischen Union vereinheitlicht. Seitdem stellt Deutschland die Uhren von Ende März bis Ende Oktober um. Fragt sich nur, wie lange noch. lby