MASSGESCHNEIDERT

Allerheiligen-Nachschlag

von Redaktion

Jeder Mensch muss einmal sterben, hat der Mesner von Walpertskreith gesagt, vielleicht sogar einmal ich.

Es ist schon wahr: Beim Sterben denkt man zuerst an die andern und an sich selbst zuletzt. Und so sagte auch die Frau Dirigl, voller Unschuld zu ihrem Mann: Wenn eins von uns zwei einmal sterben sollt, dann zieh ich zu meiner Schwester nach Regensburg.

Schämen wir uns, aber geben wir‘s dennoch zu: Bei aller Trauer, die wir an offenen Gräbern empfinden – so manches Mal lässt sich ein aufsteigendes Gefühl von Dankbarkeit, eine kleine Genugtuung nur schwer niederhalten. Wir sind noch einmal davongekommen. Indes der Priester seine Gebete murmelt, fällt uns eine Zeile von Schiller ein: Es freut sich, wer da atmet im rosigen Licht. Aber wir kriegen unseren Dämpfer schon! Unvermittelt fordert uns der Geistliche auf, ein Vaterunser zu beten „für denjenigen aus unserer Mitte, der als Nächster vor das Angesicht Gottes gerufen wird“. Es geht ja noch, wenn an die zweihundert Trauergäste versammelt sind, aber bei einem Häuflein von acht oder neun wird die Sache schon ganz schön brenzlig!

Früher hat es sich gehört, dass man daheim gestorben ist, in seinem eigenen Bett und angesichts des eigenen Zimmers mit dem Kastl, in dem in der obersten Schublad das Sparbüchl in einer Zigarrnschachtl aufbewahrt war. Das hat einem Halt und Sicherheit gegeben. Heute, da es zur schlechten Angewohnheit geworden ist, im Krankenhaus zu sterben, gestorben zu werden, ist man von fremden Menschen und Gegenständen umgeben und weiß nicht, was aus seinem Sparkassenbuch geworden ist. Man stirbt in Einsamkeit, von antiseptischer Kälte umgeben. Der Todkranke habe nicht mehr mitgekriegt, sagt man den Angehörigen zum Trost, wie er in das bewusste Kammerl geschoben worden sei. Wirklich nicht?

Auch Bauern müssen heutzutag im Krankenhaus sterben, fern von ihrem Stall, ihren Wiesen und Feldern. Hoffentlich nicht deshalb, weil es zu umständlich und nicht mehr modern ist, zu Hause das letzte Stündlein zu erleben. Aufgebahrt in der guten Stube, die Nachbarn versammelt zur Totenwache, auf ihren Schultern hinausgetragen werden aus Haus und Hof, das war noch was! Was ist das für ein armseliges Sterben geworden in der mitleidlosen Anonymität einer Klinik! Vielleicht eine Woche länger gelebt, aber wie!

Auch wer in der Stadt lebt, sollte ein Recht darauf haben, in seinen eigenen vier Wänden sterben zu können, wenn er das will, von seinem Enkelkind gestreichelt, beruhigt zu werden vom vertrauten Ticken des Regulators, der schon den Eltern die Stunden geschlagen hat. Was nützen da Tausende von Soziologen, Psychologen und Pädagogen, wenn die einfachsten Dinge nicht mehr verstanden werden, wenn das Natürlichste schon als abnorm gilt?

Als die Frau Gmeinwieser gestorben war und noch eine Nacht in der gemeinsamen Wohnung mit Tochter und Schwiegersohn verblieb, wurden sie am anderen Morgen von den Nachbarn entsetzt gefragt, ob sie sich denn nicht gefürchtet hätten. Da fehlt’s doch, oder?

Von Herbert Schneider

An dieser Stelle schreibt unser Turmschreiber

Artikel 9 von 11