München – Seit bald drei Jahren hat Ernst Dieckmann, Bürgermeister von Reichersbeuern (Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen), eine große Sorge: Er findet keinen Dorfdoktor. Ende 2015 gab der Hausarzt im Ort die Kassenzulassung zurück. Seitdem sucht die Gemeinde jemanden, der eine Filiale in Reichersbeuern eröffnet und so zumindest eine halbe Stelle besetzt. „Wir sind in Gesprächen, die Lage ist nicht ganz hoffnungslos“, sagt der Bürgermeister.
Reichersbeuern liegt nur drei Kilometer von der Kreisstadt Bad Tölz entfernt, die Region gilt nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung (KVB) als überversorgt. Im Gegensatz zum Raum Feuchtwangen in Mittelfranken: Schon seit Juni 2014 fehlen dort Hausärzte. Die KVB sieht nur noch eine Möglichkeit – sie zieht nun eine eigene Praxis auf. Einmalig in der Geschichte des Verbands.
Gerade in strukturschwachen Regionen mangelt es an Medizinern. Im Jahr 2017 stellten rund 450 Hausärzte in Bayern ihre Arbeit ein. 90 von ihnen fanden bislang keinen Nachfolger. Dazu kommt, dass jeder dritte Hausarzt in Bayern älter als 60 Jahre ist. Dieter Geis, Vorsitzender des Hausarztverbands, warnt: „Wenn wir die derzeitige Situation nicht stoppen, wird künftig wöchentlich eine Praxis schließen“ 20 Brennpunkte listet die KVB auf ihrer Homepage auf – in Oberbayern liegen davon nur Ingolstadt und Moosburg (Kreis Freising). Trotzdem sind die Aussichten für den Freistaat nicht düster: „Die Allgemeinmedizin hat bei Studenten einen wesentlich höheren Stellenwert als vor 15 Jahren“, sagt Geis. Zuversichtlich ist auch KVB-Sprecherin Birgit Grain: „Wir sind auf einem guten Weg, die Versorgung in Zukunft sicherzustellen.“
In 18 Planungsbereichen habe man seit 2014 eine (drohende) Unterversorgung durch Fördermittel abwenden können. Rund 8,5 Millionen Euro flossen seither von der KVB in die Regionen: Geld bekommen Ärzte, die sich in Problem-Gegenden niederlassen, dort eine Filiale aufbauen oder einen weiteren Arzt anstellen. Zuschüsse gibt es auch, wenn Mediziner mit über 62 Jahren ihre Praxis weiterführen. Die Mittel kommen aus dem gemeinsamen Strukturfonds mit den Krankenkassen.
Das Gesundheitsministerium unterstützte seit 2012 472 Ärzte mit einer Anschubfinanzierung bei der Praxisgründung. Hilfe gibt es auch für Studenten wie Josua Amon, der Mitte November am Kreiskrankenhaus in Mühldorf am Inn sein Praktisches Jahr beginnt. Der 26-Jährige ist fest entschlossen, Landarzt zu werden: „Ich will fachlich breit aufgestellt sein – und als Mountainbiker und Kajakfahrer brauch’ ich was, wo ich schnell raus kann“, sagt er.
Amon gehört zu den ersten Studenten, die vom kürzlich gestarteten Programm „Beste Landpartie Allgemeinmedizin“ profitieren. Es ergänzt die 182 laufenden Stipendien. Medizinstudenten bekommen 600 Euro monatlich, wenn sie sich verpflichten, ihre Weiterbildung im ländlichen Raum zu absolvieren und danach fünf Jahre dort zu arbeiten. Nach diesen Kriterien sollen auch bald fünf Prozent der Studienplätze vergeben werden. Die Landarztquote hatte Gesundheitsministerin Melanie Huml bereits im Frühjahr 2017 angekündigt. Nun steht sie – genau wie eine Landarztprämie – im neuen Koalitionsvertrag mit den Freien Wählern. Nordrhein-Westfalen beschloss heuer im Juni als erstes Bundesland mit 7,6 Prozent eine solche Quote.
Studenten vorab zu einer Fachrichtung zu verpflichten, davon hält Florian Rüth, Hausarzt im Olchinger Ortsteil Neu-Esting (Kreis Fürstenfeldbruck), nichts: „Man weiß ja nicht, was einen später interessiert. Ich wollte ursprünglich in die Urologie. Nachdem ich die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus kennengelernt hatte, habe ich mich umentschieden.“ 2002 stieg er in die Praxis des Vaters ein, 2003 gründete er gemeinsam mit seiner Frau eine eigene. Rüth profitiert von einer Reform, die Ende November umgesetzt sein wird: Dann wird es in Bayern 110 Bereitschaftspraxen geben. „Ich habe weniger Dienste, aber dafür rührt sich dann mehr“, sagt Rüth. Die Zeiten, in denen er nächtelang am Handy auf Notfallanrufe wartete, sind vorbei.
Doch es gibt noch viel zu tun, um den Ärztemangel auf dem Land aufzuhalten. Die bundesweite Bedarfsplanung, die ohne Rücksicht auf lokale Gegebenheiten mit 1671 Hausärzten pro Einwohner rechnet, sei dringend reformbedürftig, sagt KVB-Sprecherin Grain. Sie werde derzeit vom Gemeinsamen Bundesausschuss der Medizin-Branche überarbeitet. An einer Stellschraube konnte die KVB schon drehen: Einige Planungsbereiche wurden geteilt. „So werden die Wege für die Patienten kürzer – und man erschwert es, dass Ärzte vom Dorf in die Städte abwandern.“ (mit dpa)