München – In gut sechs Wochen sollte es eigentlich vorbei sein mit der betäubungslosen Ferkelkastration. Doch die Große Koalition hat sich darauf verständigt, das Verbot noch einmal um zwei Jahre zu verschieben – aus Mangel an praxistauglichen Alternativen (wir berichteten). Während Ferkelzüchter aufatmen, laufen Tierschützer Sturm gegen die Entscheidung. Die große Frage bleibt: Wie geht es nach Ablauf der verlängerten Frist weiter?
Das Bundeslandwirtschaftsministerium setzt offenbar vor allem auf die Vollnarkose. Dazu will es den Bauern entgegenkommen und ihnen erlauben, die Narkose mit dem Wirkstoff Isofluran nach einer Schulung selbst durchzuführen. Man rechne damit, dass „in Kürze“ eine Zulassung für das Mittel in Deutschland vorliegen werde, sagte eine Sprecherin vergangene Woche. Das stößt auf Kritik bei den Tierärzten. „Von veterinärmedizinisch fachlicher Seite ist die Durchführung der Isofluran-Narkose durch den tierärztlichen Laien kritisch zu beurteilen“, sagt Karl-Heinz Waldmann, Professor an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, im Namen der Bundestierärztekammer.
„Standespolitik“ sei das, schimpft Bayerns Bauernpräsident Walter Heidl. Er plädiert neben den erlaubten Methoden weiterhin für eine Zulassung des sogenannten vierten Wegs, wie er in verschiedenen Varianten in Dänemark, Schweden oder den Niederlanden praktiziert wird. „Die Hof-Tierärzte bestätigen uns, dass das eine gute Lösung wäre“, sagt Heidl. Beim vierten Weg setzt der Landwirt eine örtliche Betäubung vor dem Eingriff – ähnlich wie sie der Mensch beim Zahnarzt erhält. Allerdings steht im Gesetz, dass die Kastration „schmerzfrei“ ablaufen muss. Ob das beim vierten Weg der Fall ist, ist umstritten, unter anderem weil ja für die Betäubung auch gepikst werden muss. Seit Oktober läuft eine Studie dazu, bis Ende 2020 sollen Ergebnisse vorliegen. „Das hätte viel früher passieren müssen“, sagt Heidl. Doch das Bundeslandwirtschaftsministerium habe hier viel zu langsam reagiert. Bundestierärztekammer und Tierschutzverbände lehnen die Methode strikt ab.
Erlaubt und von Tierschützern akzeptiert ist dagegen die sogenannte Immunokastration. Dabei werden die Eber mit einem Mittel geimpft, das die Ausbildung der Geschlechtshormone verhindert. Ohne diese Hormone besteht auch keine Gefahr, dass das Fleisch wie bei der Ebermast den störenden Geruch entwickelt, der das Fleisch unverkäuflich macht. Beim Bio-Verband Naturland gehen bereits etwa ein Drittel der Schweinehalter diesen Weg – unterstützt von Rewe. „Die Alternative hat sich absolut bewährt“, sagt Markus Fadl von Naturland. Die zusätzlichen Kosten von rund fünf Euro pro Schwein für die Spritzen übernimmt Rewe. Seit 2017 ist das Fleisch über die Bio-Eigenmarke von Rewe im Verkauf.
Doch der Bio-Bereich ist im Schweinefleisch-Sektor nur eine kleine Nische, die zudem so gut wie ausnahmslos für den heimischen Markt produziert. Konventionelle Züchter sehen dagegen Probleme mit dem geimpften Fleisch. „Die Mäster nehmen uns diese Ferkel nicht ab“, sagt Heidl. Weil Fleisch von geimpften Tieren schwieriger zu exportieren ist. Und weil die Mäster die Impfung durchführen müssten. „Da werden sie künftig natürlich lieber Ferkel aus Dänemark oder Österreich nehmen, die schon kastriert sind“, sagt Heidl.