MASSGESCHNEIDERT

Katarrhstrophe

von Redaktion

Zwei volle Jahre hatte sich der Hans über Leute amüsiert, die mit laufender Nase herumliefen. Er hatte überhaupt nicht verstehen können, wie ein erwachsener Mensch so etwas Lächerliches wie einen Katarrh haben könne.

Nun hat’s ihn zur Strafe selber erwischt –- und wie! Was er sich da, weiß der Teufel wo, eingefangen hat, ist schon kein Katarrh mehr, sondern eine Katarrhstrophe! Tag und Nacht stehen seine Guckerl voll Wasser, und wenn er nach oben blickt, wo die Sonne oder eine Glühbirne hängt, muss er seine Lider zuzwicken, dass er Schlitzaugen bekommt wie ein Mitglied der berüchtigten chinesischen Viererbande. Du hast ja Tränen in den Augen, die will ich nie mehr wiedersehen, spottet seine Frau, worauf der Hans etwas antwortet, was ihm im Normalzustand niemals über die Lippen käme.

Bleiben wir gleich bei den Lippen. Sie sind so trocken, als hätte er einen Zentner Zement gefressen, so rissig und zerklüftet wie die Schluchten des Balkans und so wund wie das Rückgebäude eines Reitschülers. Wes- halb er ja auch zurzeit so dick Penaten-Creme darauf trägt, wie sie sonst nur auf wunden Kleinkinderärschlein zu finden ist. Was seinen Taschentuchverbrauch betrifft, so ist er größer als der von hundert Heulsusen, und rund um die Uhr muss die Maschine auf vollen Touren laufen, in der seine Schneuzhadern gewaschen und geschleudert werden.

Obwohl Hans im Ganzen betrachtet beisammen ist wie ein Packl Kunsthonig, obwohl ihm aus dem Spiegel ein Kamerad Triefauge entgegensieht mit seltsam entgleisten Gesichtszügen und gewaltigen Tränensäcken, so hat doch kein Mensch auf der Welt, seine engste Familienbande eingeschlossen, Erbarmen mit ihm.

Soeben hat er, still vor sich hin leidend, mit anhören müssen, wie seine Frau am Telefon zu jemandem sagte: Nein, nein, nichts Schlimmes, er hat bloß ein Katarrhli. Sodass er sich direkt eine ordentliche Gallenkolik wünscht, um endlich jenes Mitleids teilhaftig zu werden, nach dem er sich so von Herzen sehnt. Mit gelegentlichen Vitaminstößen versucht Hans, seinen Katarrh das Fürchten zu lehren. Vergebens. Dieser schuftige Partisan hat sich tief in irgendwelchen Nebenhöhlen verschanzt. Immer dann, wenn sich der Hans in Sicherheit wiegt, kommt er aus seinem Versteck, packt ihn an der Nase und presst sie aus wie eine überreife Zitrone.

Manchmal versucht er sogar, ihn aus den Angeln zu heben. Zuerst erfasst ein furchtbares Kitzeln den gesamten Zinken, dann bricht es wie ein Erdbeben aus ihm heraus und ein urgewaltiges Hatschi braust donnerhallend dahin gleich dem Ruf in dem bekannten vaterländischen Lied. Worauf er aus der Küche jedes Mal ein ebenso kräftiges wie herzloses Lachen vernimmt. Denen ist wirklich nichts heilig!

Obwohl man sein Leiden nicht ernst nimmt, behandelt man ihn dennoch wie einen Aussätzigen. Die eigenen Kinder sind angehalten, ihm die Hand zum Gruß zu verweigern. Auch die Mahlzeiten darf er nicht im Kreise seiner Lieben einnehmen, sondern abgesondert wird er an einem sogenannten Katzentischerl abgespeist. Und wenn er mit seiner Gemahlin spricht, muss er sich ein Tuch vorhalten, als wäre er eine Haremsdame mit Mundgeruch. Kurz: Der Hans ist zurzeit kein Mensch, sondern bloß noch ein Bazillenträger!

Von Herbert Schneider

An dieser Stelle schreibt unser Turmschreiber

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