München – Dominique de Marné ist 15, als sie spürt: Irgendwas stimmt nicht mit mir. Da ist dieser starke innere Druck. Und de Marné kämpft gegen ihn an, immer wieder. Sie betrinkt sich, sie ritzt sich die Arme mit Rasierklingen auf, sie hofft, dass damit „Luft aus dem Kessel entweicht“. Aber das hilft nicht.
„Meine Borderline-Störung fühlte sich an wie eine Achterbahnfahrt bei Nacht“, erzählt de Marné, 32. Borderline ist eine schwere Persönlichkeitsstörung, eine psychische Erkrankung. Die Betroffenen sind impulsiv, haben starke Stimmungsschwankungen – sie reiben sich zwischen Extremen förmlich auf. So erging es auch de Marné.
Heute kennt sie die Symptome – und hält sie in Schach. Aber da ist noch mehr: De Marné kämpft dafür, dass Menschen wie sie nicht stigmatisiert werden, nicht ausgegrenzt. Deshalb unterstützt sie das Bündnis für psychisch erkrankte Menschen, kurz BASTA. Für das Antistigma-Projekt geht sie in Schulen und klärt auf. Menschen wie de Marné sind glaubwürdig – sie sprechen von ihren Erfahrungen. Und machen deutlich: Ja, wir sind krank. Aber deshalb doch nicht weniger wert! Bitte geht nicht auf Distanz zu uns.
Heute ist de Marné zu Gast an der Berufsschule Rosenheim, in der Klasse für medizinische Fachberufe. Gut 20 Schüler an der Schwelle zum Erwachsensein sitzen vor ihr. Es ist eine Begegnungsstunde mit „Psychiatrie-Erfahrenen“.
Elfriede Scheuring, die seit 2004 für BASTA tätig ist, sagt: „Die Begegnungen verschaffen den Betroffenen Gehör und helfen den Schülern, ein Bewusstsein für psychische Erkrankungen zu entwickeln, ihre Vorurteile zu hinterfragen und abzubauen.“
Bei den Begegnungen werden die Referenten durch einen Psychiatrie-Profi unterstützt. Im Falle der Berufsschule Rosenheim übernimmt diese Rolle Kathinka Hauerwaas vom Sozialpsychiatrischen Dienst (SpDi) der Stadt. Sie klärt über mögliche Hilfen auf und ermuntert die Schüler, aufmerksam durchs Leben zu gehen: Was ist mit deinen Freunden? Hast du Veränderungen bemerkt? Braucht jemand aus deinem Umfeld Hilfe? Oder sogar du selbst?
„Die Dringlichkeit dieser Fragen spüre ich jeden Tag“, erzählt Hauerwaas. Für viele Schüler sei das BASTA-Projekt der Auslöser, „sich wegen einer eigenen oder familiären Betroffenheit bei uns im Dienst Rat zu holen“. BASTA wirkt eben.
Allein in München und Rosenheim veranstaltet das bundesweit aktive Bündnis rund 100 Schulkurse pro Jahr; gut 30 000 Schüler konnte es in den vergangenen 15 Jahren erreichen. Dieser Ansatz überzeugte auch die Jury des Inklusionspreises. „Die Schüler und Schülerinnen können durch Empathie und Sympathie für die Betroffenen ihre Vorurteile hinterfragen. Sie erleben, dass niemand das Recht hat, Menschen aus der Mitte der Gemeinschaft auszugrenzen“, heißt es in der Begründung. De Marné sagt einfach: „Reden hilft – und zuhören auch.“ bn