München – Die Frau, die in der Metzgerei nicht persönlich angesprochen werden will; die Arzthelferinnen, die nur noch Nummern statt Namen im Wartezimmer aufrufen; die Anwälte, die dazu raten, achtsam mit Vistenkarten umzugehen; die Klingelschilder, die abmontiert werden: Die Reaktionen auf die seit Ende Mai geltende europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sind kurios. Doch besonders sensibel werden die neuen Bestimmungen in Schulen aufgefasst. Logisch: Es geht schließlich um Kinder, die Verantwortlichen haben eine Fürsorgepflicht.
Doch nicht wenige sorgen sich viel zu viel, findet Thomas Petri, Landesbeauftragter für Datenschutz. Ihm sei zu Ohren gekommen, dass manche Schulen für jedes Bild, das sie auf ihrer Homepage oder sonst wo veröffentlichen, einzelne Einwilligungserklärungen der Eltern einholen. „Das ist Humbug. Ich höre so viel Quatsch zurzeit“, sagt Petri. Über was er sich besonders ärgert? „Die Panik äußert sich in Entscheidungen, die rational nicht nachvollziehbar sind.“
Mindestens irritierend ist das Foto, das vom Besuch der Grundschule Garching-West (Kreis München) im Seniorenheim an die Presse weitergeleitet wurde: Die Kinder halten sich Rute, Tannenzweig, den Sack und Bilder vom Nikolaus vors Gesicht, um nicht erkannt zu werden. Aus Angst vor der DSGVO oder mangelndem Wissen darüber gehen viele Rektoren und Lehrer auf Nummer sicher: Sie fotografieren die Hinterköpfe ihrer Schüler – oder reichen gleich nur Hände, die nach Plätzchen greifen, oder menschenleere Räume mit Adventsgestecken bei den Zeitungsredaktionen ein.
Sylke Wischnevsky, Direktorin des Gymnasiums in Gauting (Kreis Starnberg), sagt: „Wir fahren auf Sicht. Die Lage ist kompliziert, das Gelände regelrecht vermint.“ Für das Schulkonzert gestern Abend nahm sie sich das vor, was sie bei Veranstaltungen immer macht: „Ich weise darauf hin, dass alle Fotos nur für den privaten Gebrauch gemacht und nicht ins Internet gestellt werden dürfen.“ Ein Fotoverbot für Eltern, das es durchaus bei manchen Schulen gibt, müsse man nicht aussprechen. Wischnevsky treibt dafür eine andere Frage um: Gilt die allgemeine Einwilligungserklärung, die sie zu Beginn des Schuljahrs für die Veröffentlichung im Netz, in Schulbroschüren oder in der Presse bei Eltern eingeholt hat, auch bei einer Exkursion?
Ja – wenn danach nicht gerade Schnappschüsse von leicht bekleideten Schülern beim Baden veröffentlicht werden, sagt der oberste Datenschützer Petri. Und er beruhigt jene Schulleiter, die Angst vor Sanktionen haben: „Die Bußgelder der DSGVO sind nicht für Schulen gedacht, die einmal ein falsches Bild ins Netz gestellt haben.“ Die EU-weite Verordnung habe nichts an der Situation geändert. Die alten Regelungen seien teilweise sogar strenger gewesen.
Weil die neuen Bestimmungen oft falsch aufgefasst werden, reagiert nun das Kultusministerium: Die Schulen sollen im Februar eine Art Datenschutz-Gebrauchsanweisung bekommen. „Ich kann das nur begrüßen“, sagt Petri. Der Experte hat den Eindruck, dass die Befürchtungen hauptsächlich in Deutschland groß sind: „Wir neigen dazu, den Gesetzeswortlaut besonders ernst zu nehmen – weniger die eigentliche Intention.“ Eine Befürchtung hat er selbst, wenn es so weitergeht wie bisher: „Dann haben Familien irgendwann keine richtigen Erinnerungsfotos mehr.“