Die erste Frau am Rednerpult

von Redaktion

Die Vorkämpferin der Emanzipation Rosa Kempf

Kürzlich rief Hildegard Kronawitter in der Redaktion an. Die ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete und Ehefrau des verstorbenen Münchner OB „Schorsch“ Kronawitter war langjährige Vorsitzende des Vereins für Fraueninteressen und liest die Beiträge zu 100 Jahren Freistaat mit großem Interesse. Nur eines kam zu kurz, sagt Kronawitter: die Rolle der Frauen.

In der Tat erscheint in der gängigen Geschichtsschreibung die Revolution in München wie auch anderswo als von Männern gemacht. Ohne die Namen von Kurt Eisner und seinem Gegenspieler Erhard Auer von der SPD kommt kein Geschichtswerk aus, man kennt vielleicht noch die Brüder Gandorfer vom Bayerischen Bauernbund und schwärmerische Idealisten wie Ernst Toller oder Gustav Landauer.

Wer aber kennt Rosa Kempf? Das ist die Politikerin, die als erste Frau überhaupt eine Rede in einer parlamentarischen Vertretung, dem Bayerischen Provisorischen Nationalrat, gehalten hat. Am 18. Dezember 1918 war das. Der Nationalrat war eine Art Vorläufer des Landtags. Während bis 1918 Frauen vom Landtag ausgeschlossen waren, saßen im Provisorischen Nationalrat erstmals auch acht Frauen: neben Rosa Kempf zum Beispiel ihre Mitstreiterin, die Armenpflegerin und Frauenrechtlerin Luise Kiesselbach.

Die Lehrerin Rosa Kempf (1874–1949) hatte sich schon im bayerischen Königreich vor 1914 für benachteiligte Mädchen engagiert. Für eine viel gerühmte Promotion bei Luja Brentano über „Das Leben der jungen Fabrikmädchen in München“, die sie 1911 abschloss, hatte sie selbst in einer Holz- und in einer Textilfabrik gearbeitet. Im Spätherbst 1918 kehrte sie aus Frankfurt zurück nach München, wenige Tage vor Ausbruch der Revolution wurde sie am 3. November 1918 in den Vorstand des Vereins für Fraueninteressen gewählt, dem sie schon seit 1899 angehörte. Der Verein, sagt Hildegard Kronawitter, ist bis heute in vielen Dingen „impulsgebend“. Es war ein Verein Münchner Bürgerinnen, die sich für die Arbeiterschaft einsetzten.

Dann kam die Rede im Nationalrat, der sich noch am Tag der Ausrufung der Revolution (8. November 1918) aus Mitgliedern der Arbeiter- und Soldatenräte sowie der SPD, des Bauernbunds und der Liberalen gebildet hatte. Hildegard Kronawitter nimmt an, dass Luise Kiesselbach ihrer Mitstreiterin im Nationalrat den Vortritt ließ. „Rosa Kempf war eine sehr gute Rednerin.“ Und so ergriff sie in der 5. Sitzung erstmals das Wort. Wer nun meint, Rosa Kempf sei rundweg in Jubelstimmung ausgebrochen angesichts der kurz vorher beschlossenen Einführung des Frauenwahlrechts, der irrt. Zwar würdigte sie eingangs, dass „zum ersten Mal“ Frauen „im bayerischen Parlament als gleichberechtigte Mitglieder sprechen“ dürften. Doch das sei erst ein Anfang. „Wir hoffen mit ganzer Seele, dass die neue Zeit wirklich die Freiheit bringt.“ Und in ihrer Rede deklinierte sie das Thema Gleichberechtigung nach allen Regeln der Kunst durch – interessant durchaus auch aus heutiger Sicht. Ihre Leitidee dabei klingt selbstverständlich, war sie aber nicht. „Die Frau muss eine selbstständige Persönlichkeit sein, so gut wie der Mann.“

Als Erstes vermisste Rosa Kempf eine repräsentative Berücksichtigung der Frauen in den neu entstandenen Rätegremien – namentlich sprach sie in ihrer Rede den Bauernrat an. Auch Arbeiterinnen seien schwach vertreten. In allen Körperschaften, auch in den unteren Instanzen wie Gemeinderäten oder Handelskammern, müssten Frauen nun das aktive und passive Wahlrecht erhalten. Und weiter: „Wir Frauen erwarten Beteiligung der Frau an allen Zweigen der Staatsverwaltung.“ Sie erwarte zudem „Gleichberechtigung des weiblichen Schülers und der weiblichen Lehrkraft“ mit den Männern. Und das gehe nur „durch Öffnung aller Knabenschulen für Mädchen“. Apropos Schulen: Ein uralter „Zopf“ sei „das Zwangszölibat für die weiblichen Beamten“. Auch sei die Besserstellung der unehelichen Mutter notwendig. Außerdem müssten Frauen als Richter sowie als Schöffen und Geschworene zugelassen werden. Und: „Wir verlangen die Gleichstellung der Ehefrau und Mutter mit dem Ehemann und Vater“ und die „Sicherung des weiblichen Erziehungsrechts“. Alles keine Selbstverständlichkeiten damals.

Da die Rednerin nicht aus der Arbeiterbewegung stammte, sondern aus dem Bürgertum, war ihr der manchmal derbe Umgangston in revolutionären Versammlungen unangenehm. Ihre Rede nutzte sie auch, um sich über eine Versammlung in den Münchner Wagnersälen zu beschweren, bei der eine Versammlung der Demokratischen Volkspartei einige Tage zuvor wüst gestört worden war – unter anderem flogen Stühle. „Ich als Frau“, sagte Kempf, habe ein Leben lang „diese Brutalität der Fäuste gehasst“. Sie sei in vier Versammlungen gewesen, die alle „gesprengt“ worden seien. Zum Schluss schimpfte sie auch Eisner, der die Kriegsschuldfrage allein auf die Fürsten abwälze – „Klagen Sie weniger an, lassen Sie die Toten ruhen“, forderte Rosa Kempf ihn auf. Die Rede endet, so verzeichnet im Protokoll, mit „Bravo und Händeklatschen“. DIRK WALTER

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