Lange Schlappohren unterm roten Filzhut, ein buschiger Waschbärenschwanz und ein freches Gschau mit langen Hasenzähnen: Nein, der Brezenkarli ist nicht gerade das, was man sich unter einem typischen bayerischen Wolpertinger vorstellt. Andererseits war er auch nicht dazu gedacht, ein furchteinflößender Wolpertinger zu werden. „Er musste ja kindgerecht sein“, sagt Daniela Grabner. Der Brezenkarli ist ein Produkt ihrer Fantasie. Er begleitet sie auf ihrer kunterbunten Reise durch Bayern: als Figur in ihrem gerade erschienenen bayerischen Wimmelbuch.
Grabner, 27, ein Münchner Kindl mit hellbraunen Haaren und ansteckendem Lachen, ist schon ihr ganzes Leben wimmelbuchnarrisch. Als die Grafikerin und Illustratorin ein kleines Mädchen war, konnte man sie stundenlang beschäftigen, wenn man ihr ein Wimmelbild gab. Oder ihr einen Pinsel in die Hand drückte. Den hat sie für „Das große bayerische Wimmelbuch“ bereits zum zweiten Mal gezückt. Auf sieben Doppelseiten aus dickem Karton verstecken sich der Brezenkarli, der eine grüne Latzhose am Leib und eine Breze in den Pfoten trägt, und Mama Bavaria und ihr Löwe auf den Skipisten der Zugspitze, in den Gassen von Regensburg oder auf dem Münchner Viktualienmarkt.
Dass Daniela Grabner es im Großformat wimmeln lässt, ist trotz der kindlichen Begeisterung fürs Suchen und Finden ein Zufall gewesen. Schon während des Studiums hatte sich die Münchnerin selbstständig gemacht. „Ich hab mich beim Verlag auf gut Glück als freie Grafikerin beworben“, erzählt sie. Eine Grafikerin brauchte der Volk-Verlag zwar nicht, aber das Portfolio der jungen Frau hat Eindruck gemacht. Also fragte der Verlag an, ob sie Lust hätte, ein Wimmelbuch zu illustrieren. Und die hatte sie. Obwohl sie ihr Studium dafür unterbrechen musste.
Zuerst gestaltete sie ein Buch für Augsburg – dort hat sie studiert. Dann sollte sie Bayern wimmeln lassen. Die Vorgabe des Verlags war einfach: Daniela Grabner sollte nicht nur Landschaften zeigen, sondern auch Bräuche so realistisch und spannend wie möglich abbilden. Und natürlich kinderfreundlich.
Trotzdem, findet Daniela Grabner, sind Wimmelbücher nicht nur für die Kleinen spannend. „Ein Wimmelbild“, sagt sie, „ist wie ein ganzer Film, der auf einer Doppelseite abläuft. Und dann kommt die eigene Fantasie dazu.“
Und Fantasie braucht es, um sich vorzustellen, wie ein fertiges Wimmelbild aussehen soll. Grabner überlegt, schaut sich die Orte, an denen sie selbst noch nicht war, von allen Seiten mit dem Kartendienst Google Maps an. Sie recherchiert, wo wann welche Feste gefeiert werden, welche Traditionen für welche Region wichtig sind und welche Tracht man wo trägt – die ist in Nürnberg schließlich anders als am Königssee. „Wenn ich alle Informationen beisammenhabe, erstelle ich in Abstimmung mit dem Verlag das Konzept.“
Erst dann kommt das Handwerk: Mit dem Bleistift skizziert sie Städte, Bauwerke, Landschaften und natürlich viele, viele Personen aufs grobe Aquarellpapier. Wer genau hinschaut, findet den Kini beim königlichen Selfie oder entdeckt Albrecht Dürer beim Fischerstechen in Nürnberg. Die fertigen Skizzen koloriert Daniela Grabner mit Aquarellfarben. „Wenn die Farbe trocken ist und alle Schattierungen passen, umrande ich die Konturen mit Fineliner.“
Ihre Ideen schreibt und malt die 27-Jährige in ein schlichtes, schwarzes Büchlein. Darin hütet sie nicht nur das Konzept für die Wimmelbilder, sondern auch für andere Projekte wie Buchcover.
Neben ihrer Arbeit als Grafikerin und Illustratorin hat sie eine weitere Leidenschaft: Sie schneidert und näht Kostüme für den Tanzsport. Bis vor drei Jahren tanzte sie selbst noch auf Turnieren, Lateinamerikanisch. „Ich würde gern im neuen Jahr wieder einsteigen“, sagt sie. Dafür braucht sie vor allem Zeit.
Projekte wie das Wimmelbuch kosten eine Menge davon: „An einer Doppelseite bin ich etwa 40 Stunden gesessen“, erzählt sie. Und das ist „nur das Zeichnen und Malen. Recherche, Konzept und Nachbearbeitung kommen obendrauf“. Für die digitale Überarbeitung waren noch mal fünf Stunden am Computer nötig.
Den braucht es vor allem, wenn das fertige Bild hier und da verbessert werden soll. „Am meisten hab ich bei der Nürnberger Seite nachgebessert“, verrät sie. Als Bayer hat man zwar „ein Empfinden für die Kultur“, allerdings kommen nicht alle Ideen gleich gut an. Auf der Doppelseite der Frankenmetropole waren es etwa die Dirndl.
Alle Regionen abzubilden war das erklärte Ziel des bayerischen Wimmelbuchs. Und dabei kann es gar nicht zu viel wimmeln. Allerdings, sagt Daniela Grabner, muss sich das Auge auch immer wieder ausruhen können. Das ist ihr auch bei der Arbeit wichtig: Zwar hütet die Münchnerin die originalen Wimmelbilder in einer dicken grauen Mappe. Aufhängen würde sie sie aber nicht. So bunt ihre Zeichnungen sind, so schlicht ist ihr Arbeitszimmer in Sendling: ein Schreibtisch mit Blick aus dem Fenster, viel natürliches Licht, weiße Wände. „Farben irritieren beim Zeichnen“, erklärt sie. „Und wenn ich ein neues Projekt habe, will ich nicht auf ein abgeschlossenes schauen.“
Ist die Reise für den Brezenkarli damit etwa vorbei? Daniela Grabner lacht. Sie hat noch ein paar Orte in petto, „die es leider nicht ins Buch geschafft haben“, sagt sie. Und Lust hätte sie auch. Der Brezenkarli braucht schließlich Orte zum Verstecken.
DAS GROSSE BAYERISCHE WIMMELBUCH
ist im Volk-Verlag erschienen und kostet 13,90 Euro. Informationen zur Illustratorin finden Sie unter www.danielagrabner.de.