Der S-Bahn-Tester: Ein kalter Januartag. Norbert Moy, 53, Vorstandsmitglied des Fahrgastverbands Pro Bahn, kommt mit der Werdenfelsbahn aus Weilheim. 20 Minuten Verspätung. Doch er werde sich um ein gerechtes Urteil bemühen, sagt der Ingenieur, der bei Siemens Mobility in der Lokfertigung arbeitet. Seit einem halben Jahr sind die ersten neuen S-Bahnen im Betrieb, 30 Stück bis jetzt. Sukzessive werden bis 2020 alle 238 umgerüstet. Wir setzen uns gleich mal an eine neuralgische Stelle, die Moy kritisiert.
Die Kuschelecken. Das sei zwar „eine nette Idee“, findet Norbert Moy. Aber übers Eck sitzen ist schwierig, es wird schnell eng, gerade wenn man nicht mit wildfremden Leuten Knie an Knie sitzen will. Die S-Bahn ist der falsche Ort zum Kuscheln, meint Moy. Die Bahn sieht das anders: Die Eckbänke seien „bei Gruppenreisen und Familien sehr beliebt“.
Halbhohe Haltestangen. Größere Leute vermissen, dass die Haltestangen nicht mehr bis zur Decke gezogen sind. Ein Manko, findet Moy. Die Bahn verteidigt sich: „Die niedrigen Haltestangen sind gerade auch für Kinder und Rollstuhlfahrer gut geeignet.“
Bessere Gesamtoptik. Es ist heller, manche meinen sogar, es ist zu hell. Insgesamt ist der gesamte Zug aber besser einsichtig. Manchmal aber dimmt die Bahn das Licht sogar.
Weniger Sitzplätze. Die Zahl sinkt von 192 auf 166, jedoch steigt die Gesamtkapazität von 544 auf 612. Das ist wegen steigender Fahrgastzahlen notwendig, erklärt die Bahn. Moy sagt: „Bei jeder Änderung gibt es Pro und Contra. Aber Platzprobleme gibt es nur auf der Stammstrecke.“
Die Dreier-Sitzgruppen (statt der früheren Vierer-Sitze). Dadurch wird die S-Bahn gerade im Einstiegsbereich durchgängiger. „In der alten S-Bahn gehen die Leute kaum in den Gang, weil sie befürchten, dann nicht mehr rauszukommen“, sagt Moy. Jetzt ist der schnelle Fahrgast-Wechsel möglich. Außerdem: Der fehlende vierte Sitz schafft Platz – etwa für Koffer. „Senioren mit Rollator oder mit einem Koffer haben früher ein ganzes Abteil blockiert.“
Die Anlehn-Plätze. Das gab es in der alten S-Bahn nicht. Für kurze Strecken ist das sinnvoll, meint Moy. Es ist bequemer als Stehen.
Zu wenig Gepäckablagen. Pro Wagen gibt es nur noch sechs Ablagen. „Es wäre sinnvoll, da nachzurüsten“, sagt Moy
Keine Abfallbehälter. „Ein Ärgernis“, sagt der Pro-Bahn-Vertreter. „Das Kalkül, dass die Leute ihren Müll einfach mit nach Hause nehmen, wird nicht aufgehen“, meint er.
Neue Digital-Anzeigen. Es ist ein Fortschritt, dass der Ablauf der Stationen jetzt zu sehen ist. Die Bahn verspricht, dass „in nächster Zeit“ auch die Echtzeitdaten angezeigt werden, also die Verspätungsminuten im Störungsfall.
Neue Türöffner. Sie sind haptisch, man spürt also, dass man drückt – ein Fortschritt gegenüber den jetzigen Sensoren. Schlecht ist, dass es keine Vormerkfunktion gibt, meint Moy. Das heißt: Der Türöffner „merkt“ sich nicht, wenn man ihn frühzeitig vor Stopp der Bahn drückt. In der Straßenbahn ist das anders.
Fazit: Die neue S-Bahn kommt bei Pro Bahn insgesamt gut an. Norbert Moy hält als Gesamtnote eine Zwei minus für angemessen. Er gibt aber zu bedenken: „Das Re-Design läuft unter der Rubrik Schöner Wohnen.“ Die eigentlichen Probleme der S-Bahn seien Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Moy sagt: „Was hilft der schönste Zug, wenn er nicht kommt.“ DIRK WALTER