Ein flottes Quartett für Frauenrecht

von Redaktion

Am morgigen Samstag ist es 100 Jahre her, dass Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen durften. Zum Jubiläum wird eine Plakatinstallation in München enthüllt. Darauf zu sehen: Hella Müting. Eine 106-Jährige mit Witz und Humor, wie sie bei einem Besuch unter Beweis stellt.

VON KATJA BRENNER

Gilching – An das erste Mal, als sie wählen durfte, erinnert sich Hella Müting noch genau. Das war bei der Reichstagswahl 1932, Müting war 20 und studierte Jura in Göttingen. Wen sie gewählt hat? Weiß sie nicht mehr so genau. „Aber nicht den Adolf Hitler“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Hella Müting, geboren am 16. September 1912, ist 106 Jahre alt. Sie gehört zu der ersten Frauengeneration, die überhaupt in Deutschland wählen durfte. Aber das fand sie schon damals „irgendwie normal. Ich war ja noch jung.“

Jetzt im Alter macht Müting als Foto-Model Karriere. Ab morgen wird sie für jedermann gut sichtbar auf dem Münchner Lenbachplatz zu finden sein. Auf einem fünf mal fünf Meter großen, freistehenden Plakat, das bis Mitte März die dortige Kunst-Insel schmücken wird. Das Plakat haben die beiden freischaffenden Künstlerinnen Bianca Kennedy und Janine Mackenroth, beide Jahrgang 1989, gestaltet. Mit ihrem Entwurf bewarben sie sich auf eine Ausschreibung des Kulturreferats München und gewannen mit dem Konterfei der alten, flotten Dame. Müting fanden sie über einen Aufruf bei Facebook. Enthüllt wird das Werk am 19. Januar, 15 Uhr, anlässlich eines ganz besonderen Jubiläums: „100 Jahre Frauenwahlrecht“.

Die Vorderseite der Plakatinstallation zeigt die 106-jährige Hella Müting mit einem Stück Kuchen auf dem Schoß. Auf der Rückseite ist eine Hand zu sehen, die beherzt in den Kuchen greift. Die Hand gehört der 90-jährigen Resi, Janine Mackenroths Großmutter. Der Plakattext stellt die Frage: „Ein größeres Stück vom Kuchen?“ Mit dem Werk wollen die beiden Künstlerinnen zeigen, dass es bei der Gleichstellung von Mann und Frau „noch Luft nach oben“ gibt, wie Kennedy sagt. Eigentlich stünde den Frauen ja ein halber Kuchen zu. Doch in Politik und Gesellschaft würden Frauen meist mit einem kleineren Stück abgespeist. Auch Hella Müting ärgert sich, dass es die Gleichberechtigung eigentlich nur in der Theorie, nicht aber in der Praxis gibt. „Es geht alles zulasten der Frauen. Alleinerziehende gibt es viele, Alleinerzieher nicht“, sagt sie. „Ohne Frauen wären wir ja alle nicht da.“

Und Müting weiß, wovon sie spricht. Zwei Mal war sie verheiratet, fünf Kinder hat sie großgezogen. Der erste Mann starb im Krieg, der zweite, „der taugte nichts“, betont sie. Er kam zwar aus reichem Hause, war aber völlig unselbstständig. Die gebürtige Stettinerin ließ sich scheiden – und musste von da an sich und ihre Kinder allein durchbringen. Die Halbwaisenrente ihrer zwei Söhne aus erster Ehe reichte eher schlecht als recht. Also beschloss Müting, mit knapp 50 Jahren noch einmal zu studieren. Grundschullehramt im Kurzstudium. Die Juristerei hatte sie aufgegeben. „Als Hitler kam, das war nicht mehr mein Jura“, erklärt sie.

Inzwischen lebt Hella Müting in einem Seniorenheim in Gilching (Kreis Starnberg). Auch wenn sie sich seit zwei Jahren nur noch im Rollstuhl bewegt – geistig ist sie umso fitter. Auch ihren Humor lässt sich die resolute Frau nicht nehmen. Geht es ums Kinderkriegen, nimmt sie kein Blatt vor den Mund: „Das bisschen, das der Mann dazu tut, das tut ja nicht weh.“

Wie sie es findet, nun auf einem Plakat an prominenter Stelle groß rauszukommen? Sie schmunzelt: „Das ist mir egal.“ Schließlich hat die Seniorin ja schon Leinwanderfahrung. Mit 102 war sie im Kino zu sehen. In Dagmar Wagners Film „Ü100“ vor vier Jahren, für den die Regisseurin acht über 100-Jährige porträtierte. Von den Protagonisten lebt Hella Müting als Einzige noch. Öffentlichkeit ist für sie offenbar wie ein Jungbrunnen.

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