München – Jürgen Schneider hat ein paar Mal miterleben dürfen, wie einem Menschen ein zweites Leben geschenkt wurde. Er hat auch miterlebt, wie andere um einen geliebten Menschen trauerten, der dieses zweite Leben mit einer Organspende möglich gemacht hatte. Dann stand Dr. Schneider, 55, Intensivmediziner und Leiter der Neurointensivstation am Münchner Klinikum rechts der Isar, auf der anderen Seite, als Transplantationsbeauftragter des Krankenhauses.
Es ist nicht so, sagt Schneider, dass die Menschen mehrheitlich gegen Organspenden wären. „Wenn Sie Leute auf der Straße fragen, sind die meisten dafür“, sagt er. Daran habe selbst der Transplantationsskandal vor ein paar Jahren nicht viel geändert. „Ganz konkret ist es aber so: Wenn ein Angehöriger stirbt, ist man so verletzt, dass die Frage nach den Organen emotional überladen ist. In so einer Situation sind viele Familien überfordert.“
Der Gesetzgeber sehe vor, dass die Ärzte nach der Spendebereitschaft fragen sollen. „Allerdings ergebnisoffen“, wie der Intensivmediziner betont. „Ich überzeuge niemanden. Ich erkläre, worum es geht, wie es abläuft. Wenn wir anfangen würden, um Organe zu feilschen, wäre das grundverkehrt.“
Was für die einen unsagbar schmerzhaft ist, kann für andere überlebensentscheidend sein: In Bayern warten fast 1500 Menschen auf ein Spenderorgan. Die Zahl derer, die nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe spendeten, ist im vergangenen Jahr jedoch gesunken: von 143 auf 128. „Angesichts der Tatsache, dass Bayern ein Vorreiter bei dem Thema war, ist das schade“, sagt Schneider. Deutschlandweit ist die Zahl der Organspender im vergangenen Jahr um 20 Prozent gestiegen. Über die Gründe für den Rückgang im Freistaat lässt sich nur mutmaßen. „Mit dem Anstieg vor ein paar Jahren waren wir vielleicht den anderen Bundesländern voraus“, meint er.
Gestern befasste sich der Bundestag erstmals mit einer geplanten Änderung des Transplantationsgesetzes. Darin vorgesehen: eine Stärkung der Transplantationsbeauftragten und mehr Geld für die Kliniken. Zudem soll es eine bessere Betreuung für Angehörige geben und Ärzte in Bereitschaft, die die Hirntoddiagnostik sicherstellen sollen. Die Änderungen stießen parteiübergreifend auf große Zustimmung, es gab zudem Ergänzungswünsche wie ein Zentralregister für potenzielle Spender.
Parallel dazu wird eine sogenannte doppelte Widerspruchslösung diskutiert: Demnach wäre jeder automatisch Spender, es sei denn, er widerspricht zu Lebzeiten. Zusätzlich müssten als doppelte Schranke die Angehörigen befragt werden.
„Das Ziel ist, dass die Menschen eine selbstbestimmte Entscheidung treffen können“, sagt Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU). Ihr Ministerium setzt auf Aufklärung, verbunden mit Aktionen wie dem Organspendelauf am 27. März in München oder dem Projekt „Schulen in die Transplantationszentren“, bei dem Schüler in den Unikliniken informiert werden.
Die Widerspruchsregelung, wie sie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorantreibt, könnte die Zahl der Organspender erhöhen, glaubt Jürgen Schneider: „Schauen Sie nach Österreich, die haben eine Widerspruchsregelung. Dort sind die Zahlen doppelt so hoch wie bei uns.“ Aufzwingen dürfe man die Entscheidung aber niemandem: „Da muss man sich mit dem eigenen Tod auseinandersetzen, das ist nicht einfach.“ Er habe selbst viele Jahre für seine persönliche Entscheidung gebraucht. Für die Angehörigen sei es in jedem Fall einfacher, wenn der Wille des Verstorbenen eindeutig ist. Dabei gilt: „Auch Nicht-Spenden ist eine Entscheidung“.