Das „Friedensprojekt Europa“

von Redaktion

Tutzing – In einer Sache sind sich Ministerpräsident Markus Söder und Bayerns evangelischer Landesbischof einig: Ein „Chaos“ sei er, der geplante Austritt der Briten aus der Europäischen Union. Bedford-Strohm bekräftigte seine Haltung zum Brexit beim Neujahrsempfang der Evangelischen Akademie in Tutzing. Der Ministerpräsident hatte derweil seine Teilnahme kurzfristig abgesagt. Unter den rund 350 Besuchern beim Traditionstreffen am Starnberger See waren allerlei Spekulationen über die Gründe zu hören.

An prominenten Rednern mangelte es auch ohne den Ministerpräsidenten nicht: Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, Landesbischof Bedford-Strohm – und die gingen über Söders Abwesenheit hinweg.

Staatskanzlei-Chef Florian Herrmann überbrachte anstelle des Ministerpräsidenten dessen Neujahrsgrüße und wandte sich direkt dem Thema des Abends zu: Europa. „Dieses Jahr stellt Europa ganz grundsätzlich infrage“, sagte er und mahnte mehr Bürgernähe und Transparenz an. Bischof Bedford-Strohm hakte ein: Er warnte vor anti-britischen Stimmungen auf dem Kontinent und forderte eine klare Botschaft an die Briten, dass die EU auf sie nicht verzichten will.

Für den Sozialdemokraten Asselborn ist das Risiko eines ungeordneten Austritts der Briten derweil gestiegen – und damit die Notwendigkeit intensiverer Vorbereitungen, beim Flug-, Schiffs- und Eisenbahnverkehr genauso wie bei der Medikamenten-Versorgung.

Drohende Spaltung sieht Asselborn keineswegs nur durch die Briten. Beleg sei für ihn der „Missbrauch“ des Europäischen Rats durch einige Staaten, „angeführt von den Herren Orban und Kurz“. Deshalb fordert er die Aufhebung des Zwangs zur Einstimmigkeit. Gefahren macht er auch außerhalb der Union aus: Wenn Großmächte wie die USA dem Multilateralismus zusehends den Rücken kehrten oder wie Russland Regeln des internationalen Rechts verletzten. Europa müsse sich zur Wehr setzen und notfalls mit Gegenmaßnahmen reagieren.

Beim Tutzinger Empfang waren auch nachdenkliche Bemerkungen zu hören. So mahnte Bischof Bedford-Strohm die Kirchen, sich der Verantwortung für das „Friedensprojekt Europa“ zu stellen: „Ich möchte, dass wir nie wieder Waffen segnen, mit denen sich ganze Völker gegenseitig umbringen.“

Akademie-Direktor Udo Hahn sagte: „Wir schauen gegenwärtig zu sehr auf die Entwicklungen vor einhundert Jahren.“ Wobei der „Weg in den Untergang“ im Vordergrund stehe. Zu wenig beachtet würden bemerkenswerte Aufbrüche der Jahre 1918 und 1919 wie die Etablierung einer demokratischen Verfassung und Wahlen, bei denen erstmals alle, auch Frauen, wählen durften. LORENZ GOSLICH

Artikel 8 von 11