Samerberg – Die Erinnerungen sind überall. Eine handgeschriebene Glückwunschkarte, ein Lied, Fotos – all das tut den Familien von Melanie Rüth und Ramona Daxlberger noch immer so weh. Bei einem tödlichen Verkehrsunfall sind die beiden befreundeten Mädchen ums Leben gekommen. Ein VW-Fahrer aus Ulm war bei Rosenheim frontal in ihr Auto gerast. Die 21-jährige Melanie starb noch am Unfallort, die 15-jährige Ramona wenige Stunden später im Krankenhaus. Mit im Wagen saß Ramonas 19-jährige Schwester Lena – sie ist die Einzige, die den Unfall überlebt hat.
Die Erinnerungen an diesen Tag sind für sie besonders schwer. Genau wie für Melanies Schwester Chiara. Er hatte wie ein Bilderbuchtag begonnen. Die vier Freundinnen waren gemeinsam ausreiten. „Wir hatten so viel Spaß“, erzählt Lena. Abends wollten die vier gemeinsam weggehen, nur Chiara entschied sich kurz vorher, zu Hause zu bleiben. Gegen 21 Uhr kam es zu dem tragischen Unfall. Der 23-jährige Fahrer, der das Auto der Mädchen gerammt hatte, ist bereits zu 20 Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er eine Überholsituation falsch eingeschätzt hatte.
Verantworten müssen sich aber auch zwei seiner Freunde, die in unterschiedlichen Autos unterwegs waren und ihn nicht mehr einscheren lassen haben sollen. Einer von beiden wurde bereits zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt – er legte aber Berufung ein. Der neue Prozess beginnt im Frühjahr. Der andere muss sich ab Dienstag vor Gericht verantworten. Ein Urteil soll am 19. März fallen. Für beide Familien ist das Verfahren sehr wichtig. „Wir wollen endlich Antworten haben, wie es zu dem Unfall kam“, sagt Chiara Rüth. „Wir haben ein Recht darauf.“
Besonders zu kämpfen hat Lena. Sie muss nicht nur den Tod ihrer Schwester verarbeiten. Auch die schweren Verletzungen brauchen Zeit, um zu heilen. Noch heute hat sie Narben an den Armen. Sie war nach dem Unfall wochenlang im Krankenhaus. „Als ich mein Gesicht das erste Mal im Spiegel gesehen habe, war das, als ob ich mich nicht kennen würde“, erzählt sie. Ihr ganzer Körper war von Schwellungen und Schnitten übersät, Knochen waren gebrochen, ihr Knie zertrümmert, sie hatte schwere Kopfverletzungen. „Ich bekomme seitdem sehr schnell Kopfschmerzen“, erzählt sie. Noch immer kann sie nur stundenweise arbeiten. Sie hat Angst, dass sie an den seelischen Folgen des Unfalls noch viel länger leiden wird. „Ich bin wahrscheinlich erst mittendrin bei der Verarbeitung.“
Ihrer Freundin Chiara geht es ähnlich. Ihre Schwester Melanie war ihre engste Vertraute. „Mit ihr konnte ich wirklich alles besprechen“, sagt sie. Sie hatte sich für fünf Monate eine Auszeit genommen und auf einem Pferdehof in Spanien gearbeitet. „Ich konnte die Trauer meiner Eltern nicht mehr ertragen“, erzählt sie. Seit sie zurück ist, hat sie die Kraft, ihren Eltern Halt zu geben.
Lena und Chiaras Freundschaft ist durch den Tod ihrer Schwestern noch enger geworden. „Wir sind wie Schwestern“, sagt Chiara. Beide glauben fest daran, dass sie Melanie und Ramona irgendwann wiedersehen werden. Bis dahin wünschen sie sich, dass die Erinnerungen irgendwann nicht mehr so weh tun.
Chiara hat eine Glückwunschkarte auf ihrem Nachttisch aufgestellt. Ihre Schwester Melanie hatte sie ihr zum 18. Geburtstag geschrieben. Es sind 16 Zeilen, für die die 20-Jährige heute unendlich dankbar ist – auch wenn sie ihr immer die Tränen in die Augen treiben. Der letzte Satz lautet: „Ich habe dich lieb. Deine Schwester Melanie.“