„Das Verhalten der Frauen ist schandvoll“

von Redaktion

DIE TAGEBÜCHER DES KARDINALS Wie Michael von Faulhaber das Kriegsende 1945 erlebte

VON DIRK WALTER

Freising – Die Bomber der Alliierten kamen mitten am Tag, der Kardinal durchlitt Todesangst. „Ein Krachen, wie wenn die oberen Stockwerke an der Außenwand meines Zimmers herabrissen, ein paar furchtbare Schläge, die Wand schien sich zu neigen, die Fenster klirrten zu meinen Füßen.“ 230 Tote gab es beim Luftangriff auf Freising am 18. April 1945, also kurz vor Kriegsende. Einer, der den Angriff überlebte, war der Münchner Kardinal Michael von Faulhaber, der sich just zum Zeitpunkt des Angriffs in Freising aufhielt. Er sah Leichenteile und die immensen Schäden am Bahnhof: „Ein Stück des Zuges liegt über dem Bahnkörper wie ein Drache in der Urzeit.“

Das Münchner Institut für Zeitgeschichte und das Münsteraner Seminar für Kirchengeschichte veröffentlichen Faulhabers Tagebücher Stück für Stück in einer Online-Edition. Nun wurde in der Katholischen Akademie der Band für das Jahr 1945 vorgestellt.

Es ist in mehrerlei Hinsicht ein bemerkenswertes Dokument – vor allem, wenn man Faulhabers Notizen aus dem Jahr 1945 mit denen eines anderen Umbruchjahrs vergleicht. Faulhaber hatte seit 1911 Tagebuch geführt, es sind Einträge in der heute nur schwer lesbaren Gabelsberger Kurzschrift, die seit 2013 Band für Band quasi „übersetzt“ wird.

Die Revolution 1918 hatte den monarchietreuen Faulhaber in eine tiefe, ja existenzielle Krise gestürzt. „Die schrecklichste Nacht meines Lebens“, notierte er, von Weinkrämpfen geschüttelt, über den Sturz des Königs. Während er also Revolution und den Bombenkrieg noch voller innerlicher Anteilnahme beschrieben hatte, vermerkte er das eigentliche Kriegsende 1945 eher „lapidar“, wie der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf bei der Tagung in der Akademie fast erstaunt registrierte. „Am letzten April etwa 18.00 Uhr ist der Krieg zu Ende“, heißt es unter dem 30. April 1945. Einen Tag später schreibt Faulhaber trocken: „Die Besetzung von München durchgeführt.“

Von Mitleid über KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter ist in den Notizen nichts zu finden, auch ein Besuch im befreiten KZ Dachau am 17. Juni 1945 schildert Faulhaber eher kühl. „Sehr viele Polen, lange krank, bereits vom Tode gezeichnet, die meisten liegen im Bett, dazu aber auch Deutsche.“ Bei einem Rundgang über das Gelände kommt er zuletzt an den Krematorien-Öfen vorbei. „In den Öfen je 22, auch in den Särgen, im letzten Raum liegen die Leichen, bis hoch hinauf Blutspur, vor den Öfen zum Hängen.“ Weiter heißt es: „Draußen der Raum für die Knienden der Genickschuß. Auf dem Rückweg zweimal Pannen. Daheim noch viel zu unterzeichnen für alle.“

Kann man aus diesen Zeilen fehlende Empathie herauslesen? Oder panzerte sich Faulhaber vor dem Grauen, in dem er in eine sachlich-nüchterne Sprache verfiel. Andreas Wirsching, Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, warnte davor, Faulhaber im Stile eines nachträglichen Anklägers moralisch anzuprangern. Faulhaber, so Wirsching, ging es vor allem darum, die katholische Kirche einigermaßen unversehrt aus der Nazizeit zu retten. Dass ihm das einigermaßen gelungen war, erkannten auch die Amerikaner an, die Faulhaber unmittelbar nach Kriegsende oft um Rat fragten. Aus dieser Position heraus konnte Faulhaber von hoher moralischer Warte das Geschehen der Zeit von oben herab beurteilen. Nahezu abschätzig schrieb er über „östliche Elemente“ und meinte damit die befreiten osteuropäischen Zwangsarbeiter. Missmutig registrierte der Kardinal den Verfall der Sitten: „Das Verhalten von manchen Frauen und Mädchen ist schandvoll. Lassen sich Chokolade (so im Original – Anm. d. Red.) schenken“, notierte er am 7. Mai 1945 über die Frauen, die sich mit Amerikanern einließen. Ein amerikanischer Colonel (Oberst) iberischer Herkunft war ihm „ein Spanier mit teuflischen Augen“. Pikiert notierte er, dieser habe ihm zwar beim Kommen „kniend den Ring geküßt“, beim Gehen dann aber nicht mehr.

Seinen vorurteilsbeladenen Blick auf Ausländer teilte Faulhaber zu jener Zeit freilich mit vielen Deutschen, die die Nationalsozialisten eher als „satanische Parteigruppe“ beurteilten und sich frei von Schuld sahen, wie Historiker Wirsching sagte. Faulhaber habe sich hier „im Mainstream“ bewegt. So ist auch der Einsatz Faulhabers für den tief in NS-Verbrechen verstrickten Leiter der Münchner Frauenklinik, Heinrich Eymer, keine sonderliche Überraschung. Dieser hatte behinderte Frauen gegen ihren Willen sterilisiert. Faulhaber war zwar getreu der Kirchenlinie gegen Sterilisationen, sehr wohl aber auch gegen Fortpflanzung von „erblich belasteten“ Menschen, wie die Nazis dies nannten.

Für Faulhaber waren solche Personen mit einer „Blutvergiftung“ ins Leben getreten. Weil sich Eymer zudem rigoros gegen Abtreibungen aussprach, setzte sich der Kardinal für ihn ein. Letztlich mit Erfolg: Eymer leitete die Frauenklinik bis zu seiner Emeritierung 1954.

Das Tagebuch

im Internet: www.faulhaber-edition.de

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