„Das Eigene eines Bayern ist ein sehr runder Kopf, nur das Kinn ein wenig zugespitzt, ein dicker Bauch und eine bleiche Gesichtsfarbe. Es gibt mitunter die drolligsten Figuren der Welt, mit aufgedunsenen Wänsten, kurzen Stampffüssen und schmalen Schultern.“
Von Johann Kaspar Riesbeck aus Mainz stammt dieses Urteil aus dem Jahr 1783. Es belegt, wie alt das Klischee über die Urbewohner zwischen Donau und Alpen ist! Je bedrohlicher aber das gezückte Damoklesschwert des Vorurteils über einem Menschenschlag hängt, desto sicherer kann man sein, dass dieser Stamm auch Exemplare hervorbringt, die „zum Fleiß“ genau das Gegenteil von dem machen, was man von ihnen erwartet.
Menschen, die überraschend querköpfig, eben klischeefrei daherkommen. Die sich die Freiheit nehmen, nicht das nachzubeten, was sich Touristen, Fremdenverkehrsmanager und Berufsbayern tunlichst von ihnen wünschen. Solche Menschen werden gerne als Nestbeschmutzer diffamiert und – auch von den eigenen Historikern – totgeschwiegen.
Was hört man zum Beispiel über den Juristen und Schriftsteller Ludwig Steub (1812– 1888), der wegen der Aufdeckung eines Judenpogroms in einen zehnjährigen Rechtsstreit gegen die katholische Kirche verwickelt wurde?
Was von einem Heinrich von Noé (1835-1894), der seine wohlbestallte Anstellung als leitender Beamter der Münchner Staatsbibliothek hingeworfen hatte, um fortan wohnsitzlos und frei durch die Alpenwelt zu wandern und Bücher zu schreiben? Selbst das Britische Museum hatte um ihn, den Hochgelehrten, lange geworben.
Wo wird eine Victoria von Butler (1811–1902) gewürdigt, die, verwandt mit der Brauereidynastie Pschorr und verheiratet mit dem königlichen Kämmerer Theobald von Butler-Haimhausen, zu den frühen Frauenrechtlerinnen und Sozialreformerinnen Deutschlands gezählt werden darf?
Welcher winzigen Minderheit sind Namen wie Lorenz von Westenrieder, Wilhelm Josef Behr, Ignaz von Döllinger und Lord Acton, Josef Hofmiller, Alois Dempf und Annette Kolb bekannt?
Allesamt Vertreter einer oberbayerischen Kultur jenseits des Sepplbayern-Mainstreams. Wenig hört und liest man über sie. Wenig bis nichts. Und wenn, dann von Spezialisten für Spezialisten. Während über die üblichen Klischee-Ritter die zehnte Biografie erscheint, wird ein erheblicher Teil der breiten Kulturgeschichte Oberbayerns totgeschwiegen. Weil sich Gott Mammon mit dem Klischee verbrüdert hat und nicht mit dem Nicht-Klischee! Schade!
Und das nicht nur, weil wir dann weiter bereitwillig das Bild abgeben, das man allerorts seit zweihundert Jahren von uns hat, das Bild von den „drolligsten Figuren der Welt“!