Millionen-Streit um Brandschutz

von Redaktion

Die Wärmedämmung ist weg, der Schimmel ist in der Wand. Jetzt wollen sich Nürnberger Hochhaus-Bewohner vor Gericht gegen die ihres Erachtens unnötigen und teuren Brandschutz-Maßnahmen wehren. Nach dem verheerenden Brand im Londoner Grenfell Tower mit 71 Toten steht in Bayern der Brandschutz aller Hochhäuser auf dem Prüfstand.

VON HERBERT MACKERT

Nürnberg – Seit 1967 wohnen Eugen und Adele Schuler in dem 20-stöckigen Wohnturm in Langwasser, der nach dem Krieg entstandenen Trabantenstadt im Südosten Nürnbergs. Jetzt sind beide Ende 70 und verstehen die Welt nicht mehr: „Ich begreife nicht, wie bekloppt man sein muss, mitten im Winter die Fassaden herunterzureißen“, schimpft der ehemalige Postangestellte.

Ende Oktober 2018 wurden an diesem und vier benachbarten Hochhäusern die als akut brandgefährlich eingestuften Heraklith-Styropor-Platten abgenommen. Andernfalls, so hieß es damals in einer eilig einberufenen Wohnungseigentümer-Versammlung, müssten die Häuser geräumt und die Bewohner in Notunterkünften untergebracht werden. „Das war reine Panikmache“, sagt Schuler. Eine Feuergefahr bestand seiner Ansicht nach für die fünf Häuser nicht. 1986 sei das Kellergeschoss in dem Haus, in dem er wohnt, fast völlig ausgebrannt. Dabei hätten die Fassadenplatten dem Feuer standgehalten.

1982 zogen die Schulers vom 6. in den 8. Stock in eine größere Drei-Zimmer-Wohnung, die sie 2001 kauften. „Weil sie behindertengerecht ist und wir dachten, wir könnten hier bis an unser Lebensende bleiben – und jetzt müssen wir uns so eine bittere Pille aufzwingen lassen“, sagt der Rentner.

Weil die Baukörper seit Monaten ohne Wärmedämmung in der Kälte stehen, bildeten sich wie bei Schulers vor allem in den nach Norden ausgerichteten Wohnungen Schimmel an den Wänden. „Wir hatten schon nach drei, vier Wochen einen Meter hoch Schimmel an der Wand im Ess- und im Schlafzimmer.“

Für den Abriss der alten und die Anbringung einer feuerfesten neuen Wärmedämmung steht eine Summe von 25 Millionen Euro im Raum, die als Sonderumlage auf die 390 Wohneinheiten verteilt werden soll – durchschnittlich ein Betrag von 50 000 bis 60 000 Euro. Geld, das viele Eigentümer, die zuvor Mieter der einstigen Sozialwohnungen waren, nicht einfach aufbringen können.

Kratzer vertritt 240 der insgesamt 290 betroffenen Eigentümer im Rechtsstreit gegen die Verwalterin der Anlage, die Vonovia Immobilien Treuhand. Auf einer Eigentümerversammlung im Februar wurde diese inzwischen abgewählt.

Der Jurist will die Vonovia jetzt auf Schadenersatz verklagen, weil diese ihre Verwalterpflichten „gröblich verletzt“ habe. Unter anderem, weil sie auf die Anforderung eines Brandschutzgutachtens durch die Stadt Nürnberg nicht rechtzeitig reagiert und dann übereilt und nur gestützt auf die Expertise eines einzigen Prüflabors den Abriss der Fassaden beauftragt habe.

„Der bei Hochhausbränden so gefährliche Kamineffekt durch die Hinterlüftung von Fassadenplatten hätte hier gar nicht entstehen können, weil die als Dämmung verbauten Heraklith-Platten mit Flüssigbeton ausgegossen wurden“, ist sich Kratzer sicher.

Das Schicksal der Schulers teilen etliche Hochhausbewohner in Deutschland. Sie wissen nicht, ob ihr Haus der Brandschutzschau standhält und sie wegen Mängeln an Modernisierungsmaßnahmen beteiligt werden – oder ihre Wohnung gar für unbewohnbar erklärt wird. So wie vergangene Woche in Duisburg. Dort wurden nach einer Begehung durch Brandschutzexperten zwei Hochhäuser evakuiert. 200 Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen.

In Nürnberg gibt es nach Angaben des Baureferats 124 Hochhäuser mit einer Mindesthöhe von 22 Metern, die zum Teil noch inspiziert werden. Für die 1400 Münchner Hochhäuser gibt der Sprecher der lokalen Baukommission, Ingo Trömer, mittlerweile Entwarnung: Nach dem Brand in London sei der Brandschutz an den Münchner Hochhäusern überprüft und dabei „kein erhöhter Handlungsbedarf“ festgestellt worden. Gleiches ergaben Anfragen in Augsburg und Regensburg.

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