Badespaß nur unter Aufsicht

von Redaktion

Gefährliche Gaudi? Aus Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen bauen einige Gemeinden ihre Sprungtürme und Badeinseln an den Seen zurück. Glücklich ist keiner damit, aber eine Badeaufsicht kann und will sich nicht jeder leisten.

VON DOMINIK GÖTTLER, SANDRA SEDLMAIER, ANDREA GRÄPEL

München – „Ach ja, der Sprungturm“, sagt Josef Lutzenberger und seufzt, wenn man ihn dieser Tage anruft. Die Badesaison nähert sich – und der Bürgermeister von Utting am Ammersee hat eine lange Debatte über den berühmten Zehn-Meter-Sprungturm am Uttinger Strandbad hinter sich. Sogar ein Gutachten hat die Gemeinde erstellen lassen, um die strafrechtlichen Konsequenzen abschätzen zu können, wenn sich jemand beim Sprung ins Wasser verletzen sollte. Denn sehenden Auges auf einen Gerichtsprozess zusteuern, das will Lutzenberger genauso wenig, wie das Bad nachts völlig abzuriegeln.

Hintergrund für die Debatte, die mittlerweile in vielen bayerischen Gemeinden mit See-Anschluss geführt wird, ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2017. Demnach liegt die Beweislast nach Badeunfällen nicht bei dem Betroffenen, sondern beim Betreiber. Das schreckt die Kommunen auf. Denn Sprungtürme oder Rutschen sind mögliche Gefahrenquellen und müssten deswegen beaufsichtigt werden. Doch nicht jede Kommune kann oder will es sich leisten, für eine kleine Badeinsel oder einen Holzsprungturm am See eine eigene Badeaufsicht zu beschäftigen.

Grundsätzlich sind die Kommunen auch mit ihren Sprungtürmen über die Haftpflichtversicherung bei der Versicherungskammer Bayern abgesichert. „Hier geht es aber um zivilrechtliche Ansprüche“, sagt Manfred Raßhofer von der Versicherungskammer. „Bei strafrechtlichen Ansprüchen greift eine kommunale Haftpflichtversicherung nicht.“ Hier können die Kommunen nur vorsorgen, indem sie die Richtlinien einhalten, die ihnen etwa die Deutsche Gesellschaft für das Badewesen vorgibt.

Die Kommunen mit Seezugang sind alarmiert. Im Landkreis Starnberg soll es kommende Woche eine Krisensitzung der Gemeindegeschäftsführer geben. Die Gemeinde Dießen (Kreis Landsberg) hat bereits zähneknirschend reagiert und beschlossen, das Strandbad in St. Alban zu einer öffentlichen Badestelle zurückzubauen. Im Gegensatz zu einem „Naturbad“ ist an einer „Badestelle“ keine Aufsicht nötig. Badefloß und Rutsche müssen dafür aber entfernt werden. Auch am Feldafinger Strandbad am Starnberger See oder am Reichlinger Eglmoos werden Rutsche beziehungsweise Sprungbrett rückgebaut. Die Gemeinde Herrsching geht den anderen Weg. Dort will man eine Badeaufsicht organisieren, die in der kommenden Saison stundenweise den Sprungturm im Seewinkel im Blick behält – damit der Turm nicht abgebaut werden muss.

Auch am Chiemsee ist die Haftungsfrage regelmäßig Thema. Im Bernauer Strandbad gab es eine Zeit lang einen aufblasbaren Eisberg, auf dem Kinder und Jugendliche sich austoben konnten. Doch immer wieder kam es dabei trotz Aufsicht zu Unfällen. „Die Versicherung hat uns daraufhin mitgeteilt, dass wir etwas ändern müssen, sonst bestehe kein Schutz“, sagt Bürgermeister Philipp Bernhofer. Also kam der Eisberg weg. „Es war einfach nicht mehr zu verantworten.“

Der Ärger vieler Bürgermeister über die Rechtsprechung ist groß. „Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht werden immer weiter nach oben geschraubt, statt die Eigenverantwortung des Einzelnen zu betonen“, kritisiert Wilfried Schober vom Bayerischen Gemeindetag. „Das führt dazu, dass immer häufiger gut gemeinte Projekte aus Angst vor Haftungsrisiken rückgebaut oder einfach ganz unterlassen werden.“

In Utting hat Josef Lutzenberger nun eine Lösung gefunden, die allerdings nicht ganz unkompliziert ist. Im Winter wird die Absprungstelle mit einer Sperrholzplatte dicht gemacht. So kann der Turm noch als Aussichtsplattform genutzt werden. Im Sommer gibt es während der Öffnungszeiten eine Aufsicht, danach muss der Turm gesperrt werden. „Kette und Schild reichen da leider nicht“, sagt Lutzenberger. Also: Einhausen, samt Tür und allem Drum und Dran. Das ist der Plan für die anstehende Badesaison. Große Freude bereitet dem Bürgermeister diese Aussicht nicht. „Ich sehe ja ein, dass jemand haften muss. Aber das hat dann eben Auswirkungen auf die Lebensqualität“, sagt er – und seufzt noch mal kräftig.

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