Das Paradoxon beschert ein spätes Osterfest

von Redaktion

Dass an Ostern in diesem Jahr herrlichstes Sonnenwetter lockt, hängt auch mit dem „Oster-Paradoxon“ zusammen. Denn wegen dieses komplizierten Prinzips ist das Osterfest heuer vier Wochen nach dem Frühlingsanfang. Pater Anselm Grün erklärt das Phänomen.

VON BEATRICE OSSBERGER

München/Münsterschwarzach – Wenn er an Ostern denkt, und daran, wie er früher das Fest mit seiner Familie verbracht hat, dann kommen Pater Anselm Grün zuallererst die Osternächte in den Sinn. „Es war für uns Ministranten immer etwas Besonderes, in diesen Nächten an den Gottesdiensten teilhaben zu dürfen“, sagt er. Und dann gab es noch das opulente Ostersonntags-Frühstück in der Familie, und selbstverständlich auch die Eiersuche. „Darauf haben wir Kinder uns auch immer sehr gefreut“, sagt er. „So, wie alle Kinder.“

So ist das, rund 70 Jahre später, auch heute noch. Landauf, landab warten Kinder sehnsüchtig auf den Osterhasen, der ihnen Eier und kleine Süßigkeiten versteckt. In diesem Jahr aber mussten sie sich gedulden. Ostern, das Frühlingsfest, taucht heuer erst weit nach dem Frühlingsanfang im Kalender auf. Erst jetzt, Ende April, ist es soweit. „Grund für den späten Termin“, sagt Pater Anselm, „ ist ein Phänomen, das sich Oster-Paradoxon nennt.“

Gänzlich unbekannt ist dieses Phänomen nicht. Alle 20 bis 30 Jahre passiert es, dass Frühlingsanfang und Ostern rund vier Wochen auseinanderliegen. Und das wiederum hängt damit zusammen, sagt Pater Anselm, „dass es für die frühen Christen lange Zeit sehr schwierig war, den genauen Termin für das Osterfest festzulegen“.

Der Ostersonntag ist der höchste Feiertag der katholischen Kirche. Doch anders als Weihnachten beispielsweise hat er kein festes Datum. Gleichwohl ist gerade das Osterdatum wichtig, richten sich doch nach ihm fast alle beweglichen Feiertage des Kirchenjahres. Insofern war es wichtig, eine verbindliche Regelung für die Bestimmung des Ostersonntags zu finden. Dies gelang in einem ersten Schritt den Theologen auf einem Konzil, das Kaiser Konstantin einst im Jahr 325 in Nicäa bei Konstantinopel einberufen hatte. Auf diesem Konzil wurde beschlossen, dass der Ostersonntag fortan am ersten Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond gefeiert wird. Damit, und das ist wichtig für das Osterdatum, wurde auch das jüdische Passahfest einbezogen, von dem sich Ostern ableitet. Heißt es doch im Evangelium, dass Jesus nach dem Passahfest verhaftet und hingerichtet wurde. Und da das Passahfest am ersten Frühlingsvollmond beginnt, schien die Lösung von Nicäa eindeutig richtig.

Nicht gelöst wurde damals jedoch die Frage des exakten Frühlingsbeginns. Die Tag- und Nachtgleiche, die den Frühlingsbeginn astronomisch definiert, kann zwischen dem 19. März vormittags und dem 21. März abends stattfinden. Unklar bliebt auch, welcher Bezugspunkt für die astronomische Berechnung gewählt werden sollte. Greenwich wegen des Nullmeridians oder Jerusalem aus religiösen Gründen? Die Berechnung des exakten Osterdatums war also nach wie vor keine leichte Aufgabe.

In den folgenden Jahrhunderten gab es denn auch immer wieder Versuche, das Problem in den Griff zu bekommen. Bekannt geworden ist beispielsweise die Rechenvorschrift, die der Mathematiker und Jesuitenpater Christophorus Clavius im 16. Jahrhundert herausbrachte, die sich jedoch als wenig praktikabel erwies.

Eine Lösung fand schlussendlich erst der berühmte Mathematiker Carl Friedrich Gauß im 19. Jahrhundert. Seine „Osterformel“, die er erstmals im Jahr 1800 veröffentlichte, gilt in leicht abgewandelter Form auch heute noch. Gauß legte den Frühlingsanfang auf den 21. März fest, unabhängig aller astronomischen Werte. Ähnlich verfuhr er mit den Mondphasen, die er nach einem einfachen, zyklischen Modell berechnete. Das Modell hat sich bewährt, führt aber gelegentlich dazu, dass Astronomie, Kalender und Mondphasen voneinander abweichen. So, wie in diesem Jahr. Da wurde der Vollmond, der am Morgen des 21. März am Himmel stand, noch als Wintervollmond berechnet. Und deshalb verschiebt sich Ostern nun auf den späteren Termin. Weil der Vollmond am Karfreitag als erster Frühlingsvollmond gilt, fällt der Ostersonntag in diesem Jahr auf den 21. April.

„Ja, das ist kompliziert“, sagt Pater Anselm und lacht. Und auch, wenn die Bestimmung des Osterdatums kirchenhistorisch besehen eine spannende Frage sei, so sei die Bedeutung des Osterfestes doch viel wichtiger. „Gerade in Zeiten wie diesen“, fügt der Benediktinermönch hinzu, „in denen es viel Dunkelheit in der Welt gibt, ist das Osterfest ein Zeichen der Hoffnung, dass die Liebe stärker ist als der Tod, dass das Helle stärker ist als die Dunkelheit und das Leben stärker ist als das Erstarrte.“

Das Osterfest bedeutet aber für Pater Anselm auch einen Aufruf an uns alle. „Auferstehung heißt auch, den Aufstand zu wagen“, sagt er. „Das Wort zu erheben und zu handeln gegen Missstände und Ungerechtigkeiten, Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen, und dabei auch den Ausgestoßenen die Hand zu reichen.“ Es ist ein Aufruf, in den Pater Anselm die Kirche miteinschließt. Sie müsse sich ihrer Verantwortung stellen, fordert er. „Die Kirche hat viel verwüstet am Glauben, jetzt ist es an ihr, Buße zu tun, und neue Wege zu beschreiten“, sagt er. Die Kirche müsse offener und transparenter werden, und sie müsse eine neue Sprache finden, um die Menschen mit der Botschaft Gottes wieder zu erreichen. „Ostern ist das Fest des Lebens, der Wandlung und Erneuerung“, sagt er. „Auch wir als Kirche sollten auf diese Botschaft hören.“

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