KOLUMNE

Kann man heutzutage noch Ostern feiern?

von Redaktion

Die Reaktion, die das leere Grab am Ostermorgen auslöst, ist von den Evangelisten deutlich beschrieben: Ratlosigkeit, Skepsis, Erschrecken, Angst, Unglauben. Für die Jünger ist die Nachricht vom leeren Grab nichts Anderes als „Weibergeschwätz“: Durchgedreht, traumatisiert vom Schmerz des Verlustes. „Typisch Frau“ eben – Klischees auch in der Bibel!

Wir lesen Ostern viel zu oft von hinten her: vom Zeugnis derer, die das Unfassbare glaubten, weil sie Zeugen glaubten, die glaubwürdig waren. Je ferner dieses Geschehen rückt, das wir, die wir uns doch nach diesem Jesus von Nazaret Christen nennen, desto mehr kommt die Frage auf: Stimmt’s? Oder ist es ein frommer Mythos? Ein groß angelegter Schwindel? Ein Placebo, dem auch Intellektuelle und Geistesriesen aufsitzen, weil wir lieber mit Illusionen leben als mit der knallharten Wirklichkeit?

Tot ist tot ist tot ist tot – und da kommen welche daher und behaupten: Er lebt! Es gibt ihn noch! Es gibt ihn wieder! Der Gekreuzigte war mausetot. Er lag im Grab. Nicht pro forma. Nicht scheintot (auch das war ein Verdacht). Nein, der tot war, lebt. Auferstanden! Ist das glaubwürdig? Glauben wir’s wirklich – oder nur, weil es uns sympathische Menschen behaupten? Denen wir so gern glauben würden?

Jedes Jahr: dieselben Fragen. Und wie lauten die Antworten? Es gibt Theologen, die meinen, die Rede vom ewigen Leben sei „so etwas wie eine Notlüge“. Auferstehung als Verlegenheitstopos. Vielleicht gehen wir mit manchen Dingen zu schlampig, zu lässig, zu oberflächlich um. Spaßen lässt sich mit dem gerade nicht, was wir in dieser Nacht feiern.

Auferstehung feiern – das heißt: Daran erinnern, dass der Tod nicht das letzte Wort behält. Daran erinnern, dass das Kreuz nicht Endstation war. Daran erinnern, dass der Verrat nicht zum Ziel führte. Daran erinnern, dass Jesus nicht im Grab blieb. Wenn wir aufhören, davon zu sprechen, bleiben wir nur als verstörte Gemeinde zurück, die sich in einer sündigen Kirche vorfindet.

Ostern 2019: Die Kirche trägt Wundmale. Hässliche, tief reichende Wunden. Kann Osterstimmung aufkommen angesichts all der Skandale? Angesichts des völlig misslungenen, ja peinlichen „Erklärungsversuchs“ des ehemaligen Papstes, der mit 92 eigene Lebenswunden wiederbelebt: Ressentimentgeladen, argumentationsschwach, intellektuell dürftig?

Wem es zuerst um die Glaubwürdigkeit und um Imagepflege der Kirche geht, um die eigene, vermeintlich brillante Analyse, tut erneut den Opfern unrecht, vergrößert deren Wunden, ihre lebenslange Traumatisierung. Karfreitag der Kirche – er dauert an. Bitte kein Selbstmitleid! Das müssen wir aushalten. Zuallererst geht es um Auferstehung, um Hoffnung, um Heilung für die Opfer! Die Kirche ist „heilig und sündig“ zugleich: Sie hat viel dazu beigetragen, den ersten Teil dieser Wahrheit vergessen zu machen.

Ich schäme mich, als Ordenschrist und Priester: Dass es mir oft nicht gelingt, die eigenen Lebensgräber zu verlassen: Zu reden, wo man sich anschweigt; eine Initiative zu setzen, wo man sich nur noch höflich-distanziert begegnet. „Es gibt Christen, deren Lebensart wie eine Fastenzeit ohne Ostern erscheint“, schreibt Papst Franziskus in „Evangelii gaudium“.

Leben, als ob es die Botschaft von der Überwindung des Todes und alles Tödlichen nicht gäbe? Als ließe sich darüber verfügen, als könne man sie einsetzen ins Kalkül eines korrekten, aber kalten Zusammenlebens – bei gleichzeitigem Aufrechterhalten eines spirituellen Betriebs, der Routine ist, Wiederholung von religiösen Wahrheiten, die keinen Alltag finden?

Die Frage lautet: Sieht man uns Christen an, dass wir Menschen sind, die „nach Ostern“ leben? Dass wir nicht nur zu denen gehören, denen die Zeitrechnung „nach Christi Geburt“ etwas bedeutet, sondern, dass wir glauben und bekennen, dass das auch „nach Christi Auferstehung“ heißt?

Jesus von Nazaret ist auferstanden: Das zu erinnern, darauf zu bestehen, wieder und wieder, Jahr für Jahr – und trotz und im Angesicht einer Kirche, die diese Botschaft wieder und wieder verraten hat: Darauf kommt es an!

VON ANDREAS R. BATLOGG SJ

Mitglied des Jesuitenordens seit 1985

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