Wenn das Ei zum Kunstwerk wird

von Redaktion

Für Daniela Volkmer aus Uffing dreht sich das Leben ums Ei – nicht nur an Ostern. Bis zu 25 Stunden braucht die Eier-Künstlerin für eines ihrer ovalen Werke. Bis zu 3000 Euro kosten die kunstvollsten. Viele ihrer Werke sind gerade im Aschenbrenner Museum in Garmisch-Partenkirchen zu sehen.

VON JOSEF HORNSTEINER

Es ist eines ihrer traurigsten Werke. Daniela Volkmer, 58, hält ein Ei in der Hand. Eines von einer Ente. Etwa sechs Zentimeter groß, ausgeblasen. Es ist leicht, wiegt nur wenige Gramm. Die Gefühle, die Volkmer allerdings in dieses kleine zerbrechliche Ding gesteckt hat, dürften Tonnen wiegen. Sie hat es verziert mit feinen Linien aus Tusche. Ornamente, nur wenige Millimeter breit und synchron nebeneinander laufend. Es ist schlicht, ohne Blattgold oder Kupfer. Volkmer dreht das Ei im gelblich warmen Licht ihrer Schreibtischlampe.

Vollendet ist es aber nicht. Die Linien brechen plötzlich ab, hören einfach auf. Alle, bis auf eine. „Dieses Ei habe ich gemacht, als mein Mann 2012 gestorben ist“, sagt Volkmer. Die Striche, die sie mit Tusche und Farbe hat abbrechen lassen, „stellen den Tod dar, den Abschied, die endgültige Trennung“. Der eine jedoch, der sich weiter um das Ei schlängelt und einen perfekten, nie endenden Kreis bildet, „ist die Hoffnung auf das Weiterleben“. Dieses einzigartige Ornament hat die Eier-Künstlerin ganz unbewusst gemacht. „Es war plötzlich da.“

Dass etwas einfach entsteht, ist keine Seltenheit. Volkmer lässt ihren Emotionen auf Eierschalen freien Lauf. Oft sind es Kindheitserinnerungen oder Reise-Erlebnisse, die sie mit Füller, Feenhaarpinsel und Anlegemilch, einem Kleber, auf Eiern verewigt. Volkmer zeigt Werke mit krachigen, hellen Farben in gelb, rot und grün. „Da hab ich mich von Lateinamerika inspirieren lassen, als ich dort meine Kinder besucht hab, die mit dem Rucksack unterwegs waren.“ Ein anderes Ei ist warm rötlich. „Wie ein Sonnenuntergang in der französischen Provence.“ Ein anderes ist beige. „Das habe ich nach einer Reise durch die orientalische Wüste gemacht“, erzählt die 58-Jährige, die früher Fachlehrerin für Werken, textiles Gestalten und Soziales an der Grundschule in Uffing war.

Jetzt im Frühjahr und im Sommer ist sie mit ihren kleinen Kunstwerken auf Verkaufsmessen und Märkten in ganz Deutschland unterwegs. Die Wintermonate ab November nutzt sie zum Gestalten. Dann sitzt Volkmer täglich mehrere Stunden auf ihrem Dachboden an der Werkbank. Hier schafft die Frau aus Uffing am Staffelsee ihre Kunstwerke.

Ihr Speicher ist lichtdurchflutet. Eine rote Couch ist der Lieblingsplatz ihrer gefuchsten Katze. „Sie macht keine Probleme hier oben“, sagt Volkmer lachend. Nur als sie noch ein Kätzchen war, seien oft Pinsel verschwunden. „Mit denen hat sie dann gespielt und sie durchs ganze Haus getragen.“ Heute liegt der kleine Schnurrer eingerollt auf dem Sofa und beobachtet jede kleine Bewegung seines Frauchens.

Unter einer Leselampe platziert Daniela Volkmer ein spezielles Kissen aus Kalbsleder. Darauf stützt sie ihre Handgelenke ab. Das noch weiße Ei fasst sie an den sanften Rundungen oben und unten. Wenn Volkmer das Ei weiß grundiert und den ersten Strich ansetzt, blendet sie die Welt um sich herum aus. Vier Stunden zeichnet sie, dann braucht sie vier Stunden Pause – geht spazieren oder macht den Haushalt.

Je nach Größe und Muster stecken bis zu 25 Stunden Arbeit in einem Ei. Am längsten dauern Eier in Mosaik-Optik. „Da recycle ich meine Unglücksfälle“, sagt Volkmer augenzwinkernd. Sie sammelt die Schalen, die ihr während der Arbeit zerbrochen sind. Dann fügt sie sie feinsäuberlich wie ein Puzzle zusammen. „Das sind meine wertvollsten Eier.“ Bis zu 350 Euro verlangt sie für eines. Das teuerste Stück ihrer 500 Stück großen Sammlung ist eine Serie. Angefangen von einem Wachtelei (etwa 2,5 Zentimeter groß) bis hin zum Straußenei (15 Zentimeter und zwei Kilo) lässt sie das gleiche Ornament auf den verschiedenen Eier-Größen „wachsen“. 3000 Euro kostet das Set. „Es ist mit hauchdünnem Blattgold belegt.“ Wenn Volkmer damit arbeitet, darf sie nicht tief schnaufen. „Sonst fliegen die 22-Karat-Blättchen weg.“ Ein Buch mit 25 Blatt kostet 70 Euro. „Da muss achtgegeben werden.“

Bis sie mit Gold zu arbeiten begann, war es ein langer Weg. Zum ersten Mal legte sie 1984 mit Pinsel und Stift an einem Ei Hand an. Wie viele Kunstwerke seither entstanden sind, weiß Volkmer nicht mehr. „Tausende“, so viel ist sicher. Besonders in Ehren hält sie die ersten, die sie je gemacht hat. Sie liegen heute in einem Einmachglas. „Die hat meine Mama aufgehoben, die sind noch aus der Studienzeit.“ Als sie noch mit schwarzem Folienstift auf braune, selbst ausgeblasene Eier malte. Nach 35 Jahren sind sie zwar verblasst, die Striche dick verlaufen. Aber sie haben einen hohen Stellenwert in Volkmers Herz. Ihre Arbeiten hat sie mittlerweile perfektioniert. Die Tuschestriche vergilben nicht mehr, zumal sie das Ei ganz zum Schluss mit Hartlack überpinselt. Das macht es auch bruchfester.

Ihre Kunstwerke sind gerade im Aschenbrenner-Museum in Garmisch-Partenkirchen zu sehen, im Rahmen der Ausstellung „KlEIne Welten. Die Sammlung Helmut Meister“. Helmut Meister, 53, dreht eines von Volkmers Mosaik-Eiern vorsichtig in der Hand, begutachtet die Schale im Sonnenlicht. „Sie arbeitet unglaublich filigran“, lobt der Kunstliebhaber und Eiersammler. Jedes einzelne Ei in seiner Sammlung hat er selbst auf Märkten ausgesucht und gekauft. Einige hat er aus dem Internet bestellt. Insgesamt besitzt er über 3000 Kunsteier. Sie kosten zwischen 20 und 350 Euro.

Eine feine Verarbeitung ist ihm das wichtigste Kriterium. Neben allerhand Schönem, gibt es auch viel Kurioses, was er über 35 Jahre angesammelt hat. Eier, die aussehen wie der englische Musiker Elton John. Mit Brille und Ohrringen. Eier in Steinoptik. Künstler Günter Eisen aus Deutschland hat sogar eines gemacht, in dem er eine Schale mit einem Zahnarztbohrer malträtiert hat. Durch die tausenden Löcher sieht es aus wie ein Spinnennetz. „Das ist mein Ungewöhnlichstes“, sagt Meister. Seine Ausstellung im Museum zeigt Meisterwerke von über 95 Künstlern aus 15 Nationen.

Die Eier zu den bundesweiten Ausstellungen zu bringen, ist jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung. „Zerbrochen ist mir aber noch keines“, sagt Meister. „Dafür hab ich spezial angefertigte Boxen.“ Er ist Profi. Eier-Profi. Das muss man in diesem zarten Gewerbe auch sein.

„KlEIne Welten“

Die barrierefreie Ausstellung im Museum Aschenbrenner in Garmisch-Partenkirchen (Loisachstr. 44) läuft noch bis 28. April. Geöffnet ist täglich von 11 bis 17 Uhr, montags geschlossen.

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