Bayerns fleißigstes Maibaum-Team

von Redaktion

Die meisten Maibäume in Bayern stehen einige Jahre lang. Der Maibaum in Ludenhausen bleibt nicht einmal 365 Tage. Er wird jedes Jahr vom Jugendclub neu geschlagen, vorbereitet und aufgestellt. Das bedeutet zwar viel Arbeit, hat aber auch Vorteile.

VON KLAUS MERGEL

Ludenhausen – Die Schnur ist zu Ende – Zwangspause für Stefan Leyer. Der 36-Jährige muss kurz warten, bis er eine neue Rolle bekommt. Liegt aber bereits griffbereit, die Mädels wickeln seit einer Stunde emsig Schnur um Schnur auf Stöckchen. Denn direkt vom Knäuel kann Leyer schlecht wickeln: Beim Kranzwinden braucht man gute Spannung auf der Schnur. Die Fichtenzweige sollen sicher bei Wind und Wetter am Kranz in 30 Metern Höhe halten – selbst wenn der Maibaum kaum ein Jahr steht.

Richtig gelesen: ein Maibaum, der keine 365 Tage steht. Eigentlich sogar kürzer, in die Grube kommt an Weihnachten der Christbaum. Recht kurz für den Zeitaufwand, eine hohe Fichte zu schmücken und aufzustellen – der Holzpreis allein macht ein paar hundert Euro aus. In Bayern stehen Maibäume meist fünf Jahre – so lange das Holz nicht morsch wird. In dem kleinen Dorf Ludenhausen im Kreis Landsberg am Lech stellt man jedes Jahr am 1. Mai einen frischen Baum auf. Meist sogar den längsten weit und breit.

Federführend bei der Brauchtumsaktion: der Jugendclub. Während sich andernorts Burschenverein oder Landjugend ums Aufstellen kümmert, macht es in dem 600-Einwohner-Dorf im Landkreis Landsberg seit Jahrzehnten dieser etwas eigenwillige Verein: 140 Mitglieder, männlich wie weiblich. Konfession? Egal. Alter: zwischen 14 und 50 Jahre alt. 1965 wurde der Jugendclub Ludenhausen gegründet, 1984 bekam er offiziellen Vereinsstatus. Der 25-jährige Vorsitzende Magnus Stork erklärt: „Man gründete damals keine Landjugend, da man gegenüber der Kirche keine Verpflichtungen eingehen wollte. Und die Gründer wollten keinen Burschenverein, um die Mädchen nicht fernzuhalten.“ Eine Prise Säkularisierung und Emanzipation im Voralpenland.

Neben Skifreizeit, Kickerturnier, Herbstfete und Faschingsspektakel lautet die Hauptaufgabe des Clubs seit 54 Jahren: der Maibaum. Was seinen Mitgliedern durchaus Zeit und Mühe abfordert. Fichtenzweige, die man hier „Dox“ nennt, werden aus dem Wald geholt und zurechtgeschnitten. Ein Baum wird gefällt und ins Dorf transportiert. Aufgestellt wird er per Hand mit Schwalben – da bringen sich die älteren Mitglieder ein. Auch die Zunfttafeln aus Holz und Blech müssen von Zeit zu Zeit erneuert werden. Mühselig ist das Winden der zwei Kränze und die Herstellung der rund 50 Meter langen Girlande mit Fichtenzweigen. „Zwei Wochen sind wir da beschäftigt“, schätzt Manuel Leppelt.

Einige Tage vor dem 1. Mai wird in einem Feldstadel am Dorfrand eifrig gearbeitet. Die Helfer bereiten viele hundert Dox in der Scheune vor. Stefan Leyer steht in einem Eisenring mit rund zweieinhalb Metern Durchmesser, an den er die Zweige mit der Schnur befestigt. Beim Winden kann man sich nicht abwechseln, erklärt er. „Sieht man sonst später, weil jeder einen anderen Zug drauf hat.“ Anstrengend? Leyer winkt ab. Er ist als gelernter Zimmerer Arbeit mit den Händen gewöhnt.

Warum in Ludenhausen jährlich ein Maibaum aufgestellt wird, weiß keiner. „Aus Tradition“, vermutet eine junge Frau. „Vielleicht, weil unser Baum nicht bemalt wird“, sagt der 20-jährige Leppelt. „Durch die Witterung ist er ab Herbst nicht mehr so schön.“ In Ludenhausen ist man stolz auf den Naturbaum – die Vereinschronik spricht von einem „schönen Gegensatz zu den vielen kitschig angemalten Bäumen der Umgebung“.

Der Jahresrhythmus bringt auch Vorteile. Ein Maibaum verlangt Veranstaltern in Sachen Haftung viel ab. Stork und Leppelt sind verantwortlich, dass nichts passiert – weder beim Aufstellen noch danach. Steht ein Baum länger als ein Jahr, muss ihn ein Holz-Sachverständiger prüfen. Ab dem dritten Jahr sogar ein öffentlich bestellter Fachmann. Das schafft Kosten – und Risiken. Außerdem ist in Ludenhausen die Wahrscheinlichkeit geringer, dass der Baum geklaut wird. Wer seinen Baum kunstvoll bemalt, muss ihn über Wochen bewachen. In Ludenhausen schneidet man jedoch den rund 40 Meter hohen Stamm eine Woche vor dem Aufstellen. Und holt ihn erst kurz vor dem 1. Mai ins Dorf. „Im Wald darf er nach den Regeln nicht gestohlen werden“, sagt Stork. Die letzten zwei Nächte liegt der Maibaum direkt an der Hauptstraße neben dem Kulturzentrum Happerger. Es ist noch nie jemandem gelungen, ihn zu stehlen – Versuche hat es aber natürlich gegeben. Unter anderem von der Nachbargemeinde Reichling. Es gibt sogar ein Spottlied zu dem missglückten Versuch

Ganz früher haben die Ludenhausener ihren Baum selbst nachts aus dem Abtsrieder Forst geklaut. Gern mal einen zweiten, mit dem man das Freibier bezahlte. Doch das ist lange her, der Jugendclub hält sich heute stets ans Gesetz. „Wir fragen bei der Bürgermeisterin in Reichling nach, ob die Gemeinde ihn uns bezahlt“, sagt Stork.

Der Baum darf nicht mickrig sein. In den vergangenen Jahren waren die Maibäume zwischen 36 und 42 Metern lang. Zwar oben mit einem Stahlring angestückelt. „Die Krone bricht oft beim Fällen“, erklärt Leppelt. Für die offizielle Länge zählt das dennoch – Ludenhausen hat schon viele hundert Liter Freibier bei Wettbewerben gewonnen.

Dieses Jahr ist der Maibaum 38 bis 39 Meter hoch. Bleibt nur zu hoffen, dass das gute Stück nicht zu schwer ist. Vergangenes Jahr überforderte der Baum mit etwa 3,5 Tonnen den Lkw-Kran. Denn: Zum händischen Aufstellen per Schwalbe muss er per Kran erst in den richtigen Winkel gebracht werden. Doch auch dafür hat der Jugendclub natürlich eine Lösung gefunden: Der Baum wurde mit Teleskoplader aufgestellt. Ausgeliehen aus Reichling – ausgerechnet der Gemeinde, die mit dem Diebstahl des Baums damals gescheitert war.

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