München – Als vor einigen Monaten Neonazis mit rechten Parolen durch Chemnitz marschierten, klingelte Damian Grotens Telefon in München häufiger als sonst. Das ist ihm schon öfter aufgefallen. Sobald in der Gesellschaft viel über Rechtsextremismus, Rassismus und Diskriminierung gesprochen wird, nehmen viele Menschen wahr, dass es auch in ihrem Alltag Beispiele dafür gibt. Situationen, in denen sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen, welche Möglichkeiten sie haben. Für solche Momente ist die unabhängige Beratungsstelle „Before“, in der Groten arbeitet, vor drei Jahren gegründet worden. Sie wird von der Stadt finanziert. Betroffene sollen dort kostenlos Unterstützung bekommen. Wenn sie aufgrund ihrer Hautfarbe auf der Straße angepöbelt werden. Wenn sie eine Wohnung wegen ihres ausländischen Nachnamens nicht bekommen. Und natürlich auch, wenn sie Opfer von Angriffen werden. „Die Zahl der Übergriffe steigt häufig, wenn so etwas wie in Chemnitz passiert“, berichtet Groten. Die Hemmungen für Rassismus oder rechte Gewalt seien dann deutlich geringer.
Momente der Ausgrenzung und Diskriminierung gebe es im Alltag vieler Menschen, betont Groten. „Und nur von einem Bruchteil dieser Fälle erfahren wir.“ Auch deshalb, weil es für viele Betroffene leider sogar zur Normalität geworden sei. Auch aktuell hat er einen solchen Fall. Eine gebürtige Türkin, die seit den 1970er-Jahren in Deutschland lebt, bat in der Schmerz-Tagesklinik in Schwabing um einen Therapieplatz. Weil sie gebrochen Deutsch sprach, bekam sie keinen Platz in der Gruppentherapie. Das Angebot ihrer Tochter, für sie zu dolmetschen, lehnte die Klinik ab. „Für die Frau war diese Absage normal“, erzählt Groten. „Sie war nicht mal schockiert und sagte ihrer Tochter, so was sei ihr schon oft passiert.“ Ihre Tochter wollte die Absage nicht hinnehmen und wandte sich an die Beratungsstelle. „In einem solchen Fall machen wir erst mal einige Testanrufe“, erklärt Groten. Jedes Mal bekamen er und seine Kollegen dieselbe Auskunft wie die Tochter der Frau.
Die Beratungsstelle vermittelt dann Ansprechpartner und klärt über die rechtlichen Möglichkeiten auf. Die Tochter der Frau verlangt nun eine Entschädigung. Sie hat sich unter anderem an die Landesärztekammer gewandt. Auch die Klinik hat sie angeschrieben. Von dort kam vor wenigen Tagen ein Schreiben. Man bedauere den Vorfall, betont ein Sprecher. Nicht nur aus Datenschutzgründen sei ein Dolmetscher bei der Gruppentherapie nicht möglich. „Einigen Menschen fällt es sehr schwer, sich zu öffnen.“ Für sie solle die Gesprächssituation so vertraut wie möglich sein. Für Menschen, die den Gesprächen sprachlich schwer folgen können, sei die Gruppentherapie nicht ideal, betont er. „Für gewöhnlich bieten wir ihnen alternative Angebote.“ Bei der Dame sei es nicht so weit gekommen, was die Klinik sehr bedauere und mit dem Schreiben nachholen möchte. Zudem wolle man den Fall zur Sensibilisierung der Mitarbeiter nutzen.
Die Frau hat bereits einen anderen Therapieplatz gefunden. Die Argumentation der Klinik kann Groten nicht nachvollziehen. „Wichtig ist es uns, dass wir einen solchen Fall nicht auf sich beruhen lassen“, erklärt er. „Die Frau hätte ohne Unterstützung einfach resigniert.“ Wann ein Fall für die Beratungsstelle beendet ist, hänge auch von den Bedürfnissen der Betroffenen ab. „Es gibt Angehörige der NSU-Morde, die seit vielen Jahren zu uns zur Beratung kommen, um das Erlebte aufzuarbeiten.“ Nach drei Jahren Beratungsarbeit weiß er: Diskriminierungen sind für viele Menschen im Alltag allgegenwärtig. Die unabhängige Stelle will dafür sensibilisieren – und mehr Menschen erreichen. Groten sagt: „Ausgrenzung darf kein Teil der Normalität sein.“