In eisiger Kälte, mitten in einem Schneesturm, steht Karl am Berg und hält mit letzter Kraft seinen Freund Vigo am Seil. Zuvor hatten sich die Bergkameraden gestritten, denn beide waren in die Tänzerin Diotima verliebt. Halluzinierend sieht Karl, wie er mit der Frau seiner Träume in einem Dom aus Eis dem „heiligen Berg“ entgegengeht, bevor auch er erfriert. Dramatischer könnte der Höhepunkt des Films „Der Heilige Berg“ von 1926 nicht sein. In Szene gesetzt hatte ihn Arnold Fanck. Für den Regisseur war dies der erste größere Erfolg.
Fanck selbst gehört zu den Pionieren des Bergfilms. Vor 130 Jahren wurde er in der Pfalz geboren. Am 6. März 1889 erblickte er als Sohn des Zuckerfabrikanten Friedrich Fanck und dessen Frau Ida in Frankenthal in der Rheinpfalz, die damals noch zum Königreich Bayern gehörte, das Licht der Welt.
Schon früh kam der Junge mit den Bergen in Kontakt. Da er stark unter Asthma litt, besuchte er ab 1899 für vier Jahre ein Internat in Davos in der Schweiz. 1906 beendete Fanck die Schule mit der mittleren Reife, im gleichen Jahr starb sein Vater, woraufhin die Familie nach Freiburg im Breisgau übersiedelte. Fanck lernte Skifahren, kletterte und fotografierte gern. Er entwickelte sich immer mehr zu einem Naturliebhaber und begeisterten Alpinisten.
1909 folgte das Abitur und die Immatrikulation an der LMU in München für die Fächer Philosophie und Kunstgeschichte. 1910 zog es Fanck nach Zürich, wo er etwas vollkommen anderes studierte – Chemie und Geologie. Den Bergen wieder ein Stück näher gekommen unternahm er Ski- und Klettertouren. 1913 kam es dann zu einer für Arnold Fanck prägenden Begegnung, als er mit dem Kameramann Sepp Allgeier zusammentraf, der ihn mit auf eine Tour zur Monte Rosa nahm. Die Aufnahmen und die Arbeitsweise beeindruckten Fanck derart, dass Allgeier später zu seinen engsten Mitarbeitern werden sollte.
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges meldete er sich als Kriegsfreiwilliger, wurde aber 1915 wegen seines Asthmas zunächst als untauglich zurückgestellt. Schließlich bekam er doch noch eine besondere Aufgabe, als er in die Fälschungsabteilung des Nachrichtendienstes des Großen Generalstabs in Berlin berufen wurde, um sich mit gefälschten Stempeln auseinanderzusetzen.
Nach Kriegsende arbeitete Fanck in Berlin als Teppichhändler. So konnte er sich seine erste Filmkamera leisten, mit der er ab 1920 drehte. Im selben Jahr gründeten Fanck und der Physiker Deodatus Tauern die „Berg- und Sportfilm GmbH“ in Freiburg. Der erste Film war schnell produziert – er kam als „Das Wunder des Schneeschuhs“ heraus. Bald folgten weitere Filme wie „Im Kampf mit dem Berge“ (1921) oder „Der Berg des Schicksals“ (1924).
Gegen Ende der Weimarer Republik war Fanck ein gefragter Bergfilmer. Zu den bekanntesten Filmen aus dieser Zeit zählen „Der weiße Rausch“ (1930/31) und das Bergabenteuer „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ (1932). Beide Werke fanden auch international erheblichen Anklang.
Der letzte große Film vor der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten war „S.O.S. Eisberg“, den er in Grönland drehte und in dem der Weltkriegs-Starpilot Ernst Udet als Flieger mitspielte. Nach 1933 wollte Fanck zunächst keine Filme für das NS-Propagandaministerium drehen. Ebenso weigerte er sich, in die NSDAP einzutreten.
Die Folgen waren vor allem Geldsorgen, die sich erst 1936 milderten, als Fanck auf Einladung des japanischen Kultusministeriums nach Japan reiste, um den Film „Die Tochter des Samurai“ zu drehen. Dieser „Kulturspielfilm“ brachte ihn auch näher zur Propaganda der Nazis, wenig später entstand der Film „Ein Robinson“ (1938/39), der die Rückkehr eines 1918 ausgewanderten deutschen Matrosen in das neue NS-Reich schildert.
Fancks Widerstand bröckelte, noch 1941 folgte der Eintritt in die NSDAP, dennoch blieb die Auftragslage schwierig. Während des Zweiten Weltkrieges drehte er einen Film über den „Atlantik-Wall“ (1944). In der Zeit des Zusammenbruchs floh er nach Freiburg und arbeitete zunächst verarmt als Waldarbeiter. Seine in der NS-Zeit gedrehten Filme wurden verboten.
Später war er um einen beruflichen Neuanfang bemüht, wobei seine Ideen aber keine Interessenten mehr fanden. Mitte der 1950er-Jahre erhielt er nochmals kurze Anerkennung, als sein Film „Der ewige Traum“ von 1933/34 auf dem Bergfilmfestival in Trient gezeigt wurde. Es war Fancks letzter Film, den er vor seiner Propagandaarbeit für die Nazis gedreht hatte. Am 28. September 1974 starb der Filmemacher in Freiburg.
Für die Tänzerin Diotima bedeutete „Der Heilige Berg“ übrigens den Beginn ihrer Schauspielkarriere – gespielt wurde sie von Leni Riefenstahl. Auch Karl war kein Unbekannter – er wurde von Luis Trenker verkörpert. Beide verdanken Fanck ihren Durchbruch. IMMANUEL VOIGT